Geopolitische Veränderungen, zunehmender Protektionismus und die Erosion multilateraler Regelwerke ändern die internationale Arbeitsteilung von Grund auf. Deutschland mit seiner global stark vernetzten Wirtschaft ist davon unmittelbar betroffen. Jeder vierte deutsche Arbeitsplatz hängt am Außenhandel, in der Industrie sogar jeder zweite. Als Reaktion auf die Entwicklungen hat die EU-Kommission eine neue Strategie für die wirtschaftliche Sicherheit vorgelegt. Was bedeutet dieses Vorhaben konkret für die Unternehmen?
Regelbasierter Welthandel unter Druck
Schon seit einigen Jahren steht der regelbasierte Welthandel unter Druck: Die Welthandelsorganisation WTO kann aufgrund der Blockade ihres Berufungsgremiums durch die USA geltende Handelsregeln nur noch beschränkt durchsetzen. Gleichzeitig verstärkt sich die wirtschaftliche Entkopplung zwischen den USA und China – mit großen Auswirkungen auf die europäische Wirtschaft. Erst kürzlich hat China Restriktionen für den Export von Seltenen Erden angekündigt, die für die digitale und grüne Transformation von entscheidender Bedeutung sind.
Richtigerweise hat die EU-Kommission auf die aktuelle Situation reagiert: Sie analysiert gezielt die strategischen Abhängigkeiten etwa im Rohstoff-, Energie- und Technologiebereich. Diese sollen abgebaut und die Resilienz der europäischen Wirtschaft gestärkt werden. Vor diesem Hintergrund lauten die Ziele der Wirtschaftssicherheits-Strategie: Wettbewerbsfähigkeit der EU fördern, das Handelsschutz-Instrumentarium verbessern und die internationale Zusammenarbeit mit wichtigen Partnern ausbauen. Konkret sollen etwa Exportkontrollen und Investitionsprüfungen in der EU stärker harmonisiert werden. Zusätzlich schlägt die EU-Kommission einen gemeinsamen Rahmen für die Risikobewertung der Wirtschaftssicherheit vor. Dieser Rahmen soll eine Liste von strategischen Technologien umfassen und für alle Mitgliedstaaten gelten. Aus Sicht der Unternehmen sollte hierzu ein enger Austausch der betroffenen Institutionen mit der Wirtschaft etabliert werden.
Deutsche Unternehmen diversifizieren ihre Lieferketten bereits
Auch die deutschen Unternehmen nehmen entsprechende Risikoanalysen vor. Laut der jüngsten Ausgabe der DIHK-Umfrage AHK World Business Outlook bauen viele auslandsaktive Unternehmen derzeit ihre Risikovorsorge aus. Damit wollen sie sowohl bei Lieferketten und Produktionsstandorten als auch bei Absatz- und Umsatzmärkten ihre Geschäftsrisiken streuen und zugleich mehr Widerstandskraft erlangen.
86 % der Unternehmen schildern dabei in der Umfrage große Herausforderungen im Umstellungsprozess. So haben knapp die Hälfte der Betriebe Schwierigkeiten, die passenden Lieferanten oder Geschäftspartner zu finden (47 %). Ein Drittel der Unternehmen (34 %) nennt erhöhte Rechts- und Regulierungsprobleme, wie etwa die Beachtung von lokalen Vorschriften der Länder und des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes. Das kann Betriebe bei ihren Diversifizierungsbemühungen auf Beschaffungs- und Absatzmärkten erheblich behindern.
Auch die Kosten spielten bei der Diversifizierung eine Rolle: Für 27 % der Befragten sind sie ein nennenswerter Faktor, einen erhöhten Planungsaufwand nennen 20 %. Für die Unternehmen ist es daher wichtig, dass die EU diese Hindernisse in Angriff nimmt.
Sorge vor staatlich gelenktem Außenhandel
In der nun vorgelegten Wirtschaftssicherheits-Strategie sowie in aktuell diskutierten EU-Vorhaben – beispielsweise dem Critical Raw Materials Act – sind Vorschläge enthalten, die sich deutlich vom freien Handel und offenen Märkten entfernen. Offene Märkte sind jedoch für deutsche Unternehmen von entscheidender Bedeutung. Die Wirtschaft sieht insbesondere die geplante Einführung staatlicher Prüfungen von Auslandsinvestitionen (Outbound Investment Screening) äußerst kritisch. Die EU sollte hiervon dringend Abstand nehmen – nicht nur aus Gründen der drohenden bürokratischen Überregulierung. Vielmehr sollten Entscheidungen über Lieferketten – Lieferantensuche, Lagerhaltung oder neue Betriebsniederlassungen – unternehmerische Entscheidungen bleiben.
Auch staatliche Diversifizierungspflichten und Produktionsvorgaben, zum Beispiel im Rahmen des „EU Green Deal Industrial Plan“, müssen auf das Allernötigste begrenzt bleiben. Gleichzeitig sollte der wirtschaftlichen Entkopplung von Handelspartnern kein Vorschub geleistet werden: Der Fokus muss auf Diversifizierung und De-Risking statt auf De-Coupling liegen. Die Pläne der EU-Kommission zur Wirtschaftssicherheit in Europa dürfen nicht in Richtung eines staatlich gelenkten Außenhandels ausufern. Die neue EU-Strategie sollte daher einen stärkeren Fokus auf die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit legen, etwa durch die Vollendung des Binnenmarktes und den überfälligen Bürokratieabbau.
Globale Arbeitsteilung stärken
Offene Märkte und regelbasierter internationaler Handel bleiben ein entscheidender Motor für Wohlstand und Beschäftigung in Deutschland, Europa und in der Welt. Die EU-Handelspolitik sollte deshalb Unternehmen beim Ausbau ihrer Wettbewerbsposition auf den Weltmärkten unterstützen. Zugleich sollte sie protektionistischen Tendenzen entgegentreten, Lieferketten durch möglichst multilaterale Regeln absichern und EU-Wirtschaftsinteressen souveräner verteidigen.
Um die globale Öffnung von Märkten und Investitionsstandorten sowie einen gleichberechtigten Zugang voranzutreiben, sollten etwa die Handelsabkommen mit wichtigen Partnern wie Mercosur, Indien und Indonesien rasch abgeschlossen werden. Nur durch verlässliche Handelsregeln und ein bürokratiearmes Regulierungsumfeld kann die notwendige Diversifizierung der Lieferketten gelingen. Hierzu bleibt auch der Erhalt der Welthandelsorganisation unerlässlich.
(DIHK vom 20.07.2023 / Viola C. Didier, RES JURA Redaktionsbüro)