Rekordergebnis auf dem Papier, doch die Stimmung der Landwirtinnen und Landwirte ist auf dem Tiefpunkt: 304 Milliarden Euro Umsatz erzielte das deutsche Agribusiness im Jahr 2023, ein Plus von voraussichtlich knapp 8 % im Vergleich zum Jahr zuvor. Damit bleibt die Branche hierzulande mit einem Anteil von fast 13 % der zweitstärkste Sektor im verarbeitenden Gewerbe. Die Ernährungsindustrie ist dabei der mit Abstand umsatzstärkste Bereich im Agribusiness: 238 Milliarden Euro – und damit 78 % des Umsatzes – wurden in diesem Sektor erzielt. Den größten Anteil an diesem Ergebnis hatten die Fleisch- (50 Milliarden Euro) und die Milchwirtschaft (36 Milliarden Euro). Dahinter folgt die Landtechnik mit einem Umsatz von knapp 15 Milliarden Euro. Der Sektor Ernährung ist gleichzeitig mit knapp 648.000 Mitarbeitenden auch der beschäftigungsstärkste Bereich im Agribusiness.
Stimmung in der Branche so schlecht wie seit Jahren nicht
In allen analysierten Sektoren des Agribusiness stiegen die Umsätze – einzige Ausnahme ist der Milchwirtschaft, wo die Zahlen 2023 im Vergleich zum Rekordvorjahr leicht zurückgingen, aber auf einem überdurchschnittlichen Niveau blieben. Trotzdem ist die Stimmung in der Branche so schlecht wie seit Jahren nicht. Wie passt das zusammen? Dr. Christian Janze, Partner bei EY, erklärt: „Noch im Sommer war die Stimmung der Landwirtinnen und Landwirte hierzulande überwiegend gut: Zuversicht und Investitionsbereitschaft waren groß, die Agrarpreise auf einem relativ hohen Niveau. Allerdings wurde im zweiten Halbjahr des vergangenen Jahres ein Kipppunkt erreicht – die Preise für Agrarprodukte stürzten in den vergangenen sechs Monaten ab.“
Insgesamt seien die Umsatzzuwächse zudem fast ausschließlich auf Preis- und nicht auf Mengeneffekte zurückzuführen. Janze weiter: „2023 war, wenn man die reinen Zahlen betrachtet, ein positives Ausnahmejahr nach einer langen Durststrecke, in der zahlreiche Betriebe hierzulande gerade einmal kostendeckend produzieren konnten. Die aktuellen Analysen zeigen jedoch, dass diese positiven Zahlen nicht zum Regelfall werden dürften – ganz im Gegenteil.“ Aktuell verstärken der aus landwirtschaftlicher Sicht zu nasse Herbst und in der Folge verfaulende Wintersamen in zahlreichen Regionen die negative Stimmungslage.
Regulatorik macht der Branche zu schaffen
Was die Beschäftigten in der Landwirtschaft außerdem belastet, sind die Folgen eines seit Jahren deutlichen Anstiegs regulatorischer Maßnahmen. Der aktuell geplante Subventionsabbau, beispielsweise beim Agrardiesel, ist der sprichwörtliche Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Janze: „Es ist wichtig zu verstehen: Die relativ gute Preisentwicklung im vergangenen Jahr darf nicht über die strukturellen Probleme der Branche hinwegtäuschen.“ Auch das Klima habe Landwirtinnen und Landwirte im Jahr 2023 vor enorme Herausforderungen gestellt, sagt Prof. Dr. Ramona Teuber vom Institut für Agrarpolitik und Marktforschung der Justus-Liebig-Universität Gießen: „Die Preise, die Landwirtinnen und Landwirte erzielen, sind nach Rekordwerten Mitte 2023 im Keller, die Kosten für Rohstoffe, Energie und Arbeitskräfte bleiben aber gleichzeitig hoch, die Aussichten trüb.“
Weltweiter Agrarmarkt zwischen Substitution und Diversifikation
Weltweit stand das Agribusiness im vergangenen Jahr – vor allem in Folge des russischen Angriffskriegs – im Zeichen von Substitution und Diversifikation. So mussten Importeure ukrainischen Getreides – wie die Türkei, Ägypten und Äthiopien – neue Anbieter finden. Gleichzeitig wurden knappe Getreidearten und Ölsaaten so weit möglich durch andere ersetzt: Weizen teilweise durch Reis, Sonnenblumenöl durch andere Pflanzenöle. Nutznießer dieser Entwicklung waren neben Russland, Kanada und der Europäischen Union auch die USA. Teuber: „Wichtig war auch, dass sich die meisten Agrarexporteure mit Exportrestriktionen zurückgehalten haben, sodass die Handelsmengen auf den Weltmärkten nicht weiter verknappt wurden.“ Gemessen an Ernte und Beständen im Herbst 2023 ist die globale Versorgungslage bei Getreide aktuell kaum besser als zu Beginn des Krieges im Februar 2022.
(EY vom 17.01.2024 / RES JURA Redaktionsbüro)