Die Coronakrise hat zu einem Umdenken in Unternehmen geführt: Um widerstandsfähiger zu sein, wenn globale, aber auch regionale Lieferketten durch Krisen und Kriege unter Druck geraten, holen sie zuvor ausgelagerte Teile der Produktion zurück. In der deutschen Industrie gibt es einen gewissen Trend zum Insourcing. So wird es zumindest oft behauptet, aber stimmt das? Dieser Frage sind Sandra Jaworeck von der Technischen Universität Chemnitz, Prof. Dr. Markus Hertwig von der Ruhr-Universität Bochum und Prof. Dr. Carsten Wirth von der Hochschule Darmstadt in einer neuen, von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Studie nachgegangen. Das Ergebnis: Teilweise haben Unternehmen ausgelagerte Bereiche tatsächlich zurück ins Unternehmen geholt – allerdings anders als häufig vermutet: Nur in jedem vierten Fall geht es um Rückverlagerungen aus dem Ausland.
Neue Erkenntnisse zum Insourcing
„Wir wussten aus der Forschung viel über Outsourcing“, erklärt Christina Schildmann, Leiterin der Forschungsförderung in der Hans-Böckler-Stiftung, „aber wir wussten fast nichts über Insourcing. Hier sind wir nun deutlich schlauer. So scheint zum Beispiel das ‚Reshoring‘ – also die Rückverlagerung von Produktionsschritten, die zuvor ins Ausland verlagert wurden – eher ein Mythos als ein belastbares Phänomen zu sein. Das ist überraschend angesichts der Diskussionen über resilientere Lieferketten, die schon während des Untersuchungszeitraums intensiv geführt wurden.“
„Outsourcing Failures“ vor allem bei kleinen Unternehmen
Die Studie, die aus einem von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Projekt hervorgegangen ist, basiert auf einer Befragung von mehr als 1000 Vertreterinnen und Vertretern des Managements in Industrieunternehmen, die zwischen Mai und Oktober 2021 durchgeführt wurde. Insgesamt haben 28 % der befragten Unternehmen im Untersuchungszeitraum eine oder mehrere Leistungen eingegliedert, während 33 % Leistungen ausgegliedert haben. In 13 % der Unternehmen war beides der Fall. Die Wiedereingliederung fand am häufigsten in mittelgroßen Unternehmen mit 50 bis 199 Beschäftigten statt. Die Forscher vermuten, dass kleine und mittelständische Unternehmen besonders häufig von „Outsourcing Failures“ betroffen sind. Im Gegensatz zu Großunternehmen mangele es ihnen an Durchsetzungskraft gegenüber den Anbietern von Produkten und Dienstleistungen, sodass sich die mit dem Outsourcing verbundenen Erwartungen häufiger nicht erfüllen. Folglich würden Leistungen wieder eingegliedert.
Rund drei Viertel aller in die befragten Unternehmen rückverlagerten Leistungen wurden vor dem Insourcing von Dienstleistern in Deutschland übernommen. Rund 11 % davon waren „onsite“, also an externe Dienstleister auf dem eigenen Betriebsgelände ausgelagert, 31 % in der Region und 32 % außerhalb der Region, aber in Deutschland. Demgegenüber wurde nur ein Viertel der eingegliederten Leistungen zuvor aus dem Ausland bezogen. Das heißt: Einmal aus Deutschland abgewanderte Produktion wird relativ selten wieder zurückverlagert. Das Ergebnis ihrer Untersuchung widerspreche damit dem vorherrschenden Diskurs in der Forschung, die vor allem das Insourcing aus dem Ausland thematisiere, so Jaworeck, Hertwig und Wirth.
Motive für Insourcing
Das zentrale Motiv für Insourcing ist für die befragten Managerinnen und Manager die „Erhöhung der Flexibilität“, die rund 77 % als wichtig oder sehr wichtig einstufen. Dahinter folgt mit 70 % die „Verbesserung der Arbeitsabläufe“. Damit unterschieden sich die Hauptmotive für Insourcing kaum von denen, die andere Unternehmen beim Outsourcing nennen, erklären die Forschenden. „Beschäftigungssicherung“ spielt in 50 % der Fälle eine wichtige oder sehr wichtige Rolle. Das „Erreichen von Nachhaltigkeitszielen“ wird von knapp 40 % der Befragten als wichtiger oder sehr wichtiger Grund für die Insourcing-Entscheidung angesehen.
Die Begründungen des Managements für oder gegen In- oder Outsourcing seien häufig von einer „gewissen Beliebigkeit“ geprägt, erklären Jaworeck, Hertwig und Wirth. Das bedeute auch: Mit guten Argumenten könnten Mitbestimmungsakteure, auch gemeinsam mit Akteuren ähnlicher Interessenlage, beispielsweise aus dem mittleren Management, aus verschiedenen Abteilungen oder Unternehmensbereichen, Einfluss nehmen. Betriebsratsmitglieder könnten durch eine geschickte Kombination von Mitbestimmungsrechten und Sachfragen den Wiedereingliederungsprozess beratend begleiten oder sogar initiieren. Die größten Erfolgsaussichten hätten sie, so die Studie, wenn es sich um standortnahe Tätigkeiten handelt, die erst kürzlich ausgelagert wurden und zum Kernbereich des Unternehmens gehören. Probleme in der Zusammenarbeit mit den Kooperationspartnern kurz nach dem Outsourcing könnten ein Ansatzpunkt für Gespräche und Initiativen sein.
(Hans-Böckler-Stiftung vom 27.05.2024 / RES JURA Redaktionsbüro)