Das Jahr 2025 steht im Zeichen der US-Politik: Fast 60 % der in einer Willis-Studie befragten Unternehmen erwarten nennenswerte finanzielle Einbußen, ausgelöst durch Zollkonflikte und die unvorhersehbare, polarisierende Politik der aktuellen US-Administration. Im DACH-Raum erwarten sogar 82 % der Unternehmen daraus resultierende Verluste. Insgesamt ordnen immer mehr Unternehmen die geopolitische Lage als bedeutendes Risiko für ihren Geschäftserfolg ein. Das sind die Kernergebnisse des „Political Risk Survey“, den der Risikoberater und Großmakler Willis, ein Geschäftsbereich von WTW, zusammen mit Oxford Analytica durchgeführt hat.
„Unternehmen sehen sich heute mit derart vielen Unsicherheiten konfrontiert, dass sie gezwungen sind, neue Märkte zu erschließen oder auch Produktionsstandorte abzuwägen“, sagt Lukas Nazaruk, Head of Corporate Risk & Broking Deutschland und Österreich bei Willis. „Doch weitreichende Schritte benötigen eine zuverlässige Lage- und Risikobeurteilung, diese Planbarkeit fehlt vielen Entscheidern zurzeit“, erklärt Lukas Nazaruk, Head of Corporate Risk & Broking bei WTW.
Für die Studie befragte Willis weltweit Unternehmen, hauptsächlich aus den Sektoren Produktion, Energie, Finanzdienstleistung sowie aus dem Staatswesen. Geantwortet haben 66 Unternehmen – davon 33 % aus Nordamerika, 52 % aus Europa und 11 % aus dem entwickelten Asien.
Wo Firmen die größten Verluste verzeichnen
74 % der Befragten sehen das politische Risiko als wichtigstes oder eines der Top 5 Risiken für ihr Unternehmen. Der Hauptgrund für diese Einordnung liegt darin, dass Firmen in bestimmten Krisen-Ländern empfindliche Einbußen haben. Ganz oben auf der Liste stehen hier, wie auch in den Vorjahren, Russland und die Ukraine. Ebenso gehört China seit mehreren Jahren zu den Ländern, in denen Firmen Ausfälle aufgrund politischer Widrigkeiten verzeichnen. Verluste entstehen zum Beispiel durch Lieferkettenunterbrechungen, Sanktionen, Rückzug aus schwierigen Regionen oder erschwerten Devisentransfer.
Welche politischen Risiken es gibt: Die große Verschiebung
„In diesem Jahr hat sich unsere Liste der wichtigsten politischen Risiken grundlegend verändert“, sagt Silja-Leena Stawikowski, Senior Account Manager Special Risks bei Willis. „In den vergangenen acht Jahren dominierten in der Regel ein oder zwei Risiken – 2025 gibt es kein herausragendes Risiko, sondern mehrere, die praktisch gleichauf liegen.“ Die Folge für Unternehmen sei, dass sie die politische Entwicklung stärker im Blick behalten müssen: „Viele Firmen erleben wir im Beratungsalltag aber noch als recht sorglos“, so Stawikowski. „Diesen raten wir dringend, ihre Konzernbilanz zu schützen, indem sie eine genauere Risikoanalyse fahren. Im Falle bestimmter Entwicklungen bedeutet dies auch, Standorte aufzugeben oder neue Märkte zu erschließen.“ Nur mit dezidierten Länderanalysen und tragfähigen Versicherungslösungen könne dies gelingen.
„Grauzonen“-Angriffe verunsichern seit 2024
Seit vergangenem Jahr sind darüber hinaus „Gray Zone Aggressions“ auf dem Risikoradar der Unternehmen. Dazu gehören staatlich gesteuerte Aktivitäten, welche Druck auf andere Länder ausüben sollen, jedoch nicht in den Bereich eines militärischen Konflikts fallen. Zu den Top-3 zählen hierbei wirtschaftliche Vergeltungsmaßnahmen, Cyber-Attacken ausgeführt von anderen Ländern und Angriffe auf die Infrastruktur.
Die DACH-Befragten antworteten auf die meisten Fragen ähnlich wie das globale Panel. In der Frage der „Grauzonen“-Angriffe waren diese jedoch gespalten: Während die Mehrheit der weltweit Befragten angab, dass es bei diesem Risiko keinen eindeutigen Trend gebe, sagten die DACH-Befragten mit 6 % höherer Wahrscheinlichkeit, dass sich der Trend „stark verstärken“ werde. „Das können wir auch so interpretieren, dass bisher lediglich eine Minderheit der DACH-Befragten angesichts der Grauzonen-Angriffe alarmiert ist“, so Stawikowski.
US-Zollpolitik schadet exportorientiertem DACH-Raum
In einem Bereich waren sich die DACH-Befragten relativ einig: 82 % gaben an, dass die Zollpolitik der USA negative finanzielle Auswirkungen auf ihr Unternehmen haben würde, was 26 Prozentpunkte über dem weltweiten Durchschnitt liegt. „Europäische Unternehmen wie unseres sehen sich aufgrund von Restriktionen, Handelsanpassungen und Spannungen in Schlüsselindustrien wie Halbleiter und erneuerbare Energien mit Störungen konfrontiert“, sagte ein DACH-Befragter im Interview. „Ehrlich gesagt ändert sich die Situation so schnell, dass es unglaublich schwierig ist, langfristige Entscheidungen zu treffen.“
Die Abhängigkeit der Exportwirtschaft sieht auch Stawikowski als zentrales Problem: „Viele unserer Unternehmen sind vom US-Markt abhängig, etwa in der Autoindustrie. Angesichts der Zollproblematik und weiterer Unsicherheiten wissen sie heute nicht, wie viel sie morgen noch exportieren werden. Deshalb sollten sie sich dringend auch neue Märkte erschließen – um diese zu finden, müssen sie sehr genau auf die politische Risikolandkarte schauen.“
Wie Unternehmen Risikoprävention betreiben
Unternehmen sind laut Studie in den letzten Jahren sensibler geworden: Gaben 2022 noch 64 % an, politische Risiken proaktiv zu beobachten, tun dies im Jahr 2025 89 % der Teilnehmer. Um die Risiken zu minimieren, gilt die Diversifizierung von Investitionen und Beschaffung mit fast 70 % als mit Abstand beliebteste Maßnahme. Jeweils um die 30 % geben an, in das Three-Lines-of-Defense-Modell zu investieren, ihre Resilienzbemühungen zu verstärken, Partnerschaften zu suchen und in Krisenmanagement zu investieren. Eine Versicherung gegen geopolitische Risiken oder Warenkreditversicherungen folgt erst auf Platz 6 mit etwas unter 25 %.
Ausblick: Machtspiele, Polarisierung, Populismus nehmen zu
Gefragt nach den Trends für das Jahr 2025, schätzen die meisten Studienteilnehmer, dass sich die Machtspiele der großen Weltmächte noch verstärken werden. Große oder sehr große Bedeutung hat zudem die politische Polarisierung, gefolgt von populistischer Politik und Tendenzen zur De-Globalisierung. „Genau in dieser Vielfalt der Risiken liegt für Unternehmen das Problem“, sagt Nazaruk. „Viele Bedrohungen liegen gleichauf, sind miteinander verwoben oder bedingen sich – das schafft eine Unberechenbarkeit, mit der die Wirtschaft in den kommenden Jahrzehnten umgehen lernen muss.“
(wtw vom 24.06.2025 / RES JURA Redaktionsbüro – vcd)