Im Untersuchungszeitraum wurden in die europäischen Boards 573 neue Aufsichtsräte berufen – dies ist ein deutliches Plus gegenüber dem ersten Pandemiejahr mit lediglich 500 Neuberufungen. Die Studienautoren sehen auch in Deutschland nach einem sehr ruhigen Jahr 2020 bei der Neubesetzung von Aufsichtsräten eine Belebung in den führenden Börsenkonzernen. Die Auswahl neuer Mitglieder sei dabei oft richtungsweisend für die strategische Ausrichtung der Unternehmen und biete die Chance, sich für künftige Entwicklungen durch die personelle Auswahl zu wappnen.
Welche europaweiten Trends sind aus den Neuberufungen ablesbar?
Mit 67% war der Anteil an neu berufenen Aufsichtsräten, die eine aktive Managementfunktion wahrnehmen, besonders hoch (März 2020 bis März 2021: 63%). Vor allem in Frankreich (80%), Norwegen (79%) und Italien (73%) tendierten die Unternehmen zu noch aktiven Kontrolleuren, während in Irland, den Niederlanden und Schweden in hohem Maße pensionierte Top-Managerinnen und -Manager in die Aufsichtsräte einzogen. Das durchschnittliche Alter der neuen Aufsichtsräte beträgt 56 Jahre.
Wunschkandidaten sind aktive Aufsichtsräte mit Erfahrung
Gleichzeitig sank europaweit die Zahl jener Board-Mitglieder auf 43%, die ein erstes Aufsichtsrat-Mandat wahrnehmen. Laut der Studienautoren ist zu beobachten, dass bei der Kandidatenkür für Aufsichtsräte vergleichsweise jüngere Top-Leute, die ihre berufliche Karriere noch nicht abgeschlossen haben, besonders gesucht sind. Sie sollen durch ihre noch aktive Rolle und auch mit Hilfe ihrer Erfahrung als Aufsichtsräte in anderen Unternehmen Erfahrung bei der Lösung der vielen aktuellen Probleme und Risiken mitbringen.
In dieses Bild passt, dass von den Neu-Aufsichtsräten 38% Erfahrung als CEO und 14% als CFO besitzen. Gesucht sind ausgewiesene und hochkarätige Profis, die den Unternehmen bei der anstehenden Krisenbewältigung Stabilität verleihen können.
Themen Cyber Security und Nachhaltigkeit noch unterrepräsentiert
Darunter leiden andere Aspekte: Bei den neuen Aufsichtsrätinnen und -räten zeichnet sich weiterhin kein Fortschritt bei Besetzungen in den Themenbereichen Cyber Security und Nachhaltigkeit gegenüber dem Vorjahreszeitraum ab. Allerdings unterscheiden sich die einzelnen Länder hier deutlich. Bei den aktuellen Berufungen wurden die Sitze in Dänemark (23%), Irland (22%) und Frankreich (19%) mit Personen mit Erfahrungen bei Nachhaltigkeit vollzogen, während in Ländern wie Belgien, Deutschland und der Schweiz dieses Profil keine besondere Rolle spielte.
Financial Risk- und Compliance-Erfahrung gesucht
Aufsichtsräte mit digitalem Wissen wurden zu 15% berufen (Vorjahr 11%), jene mit Financial Risk & Compliance-Erfahrung zu 29% (Vorjahr 27%). Beides ist vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen plausibel. Laut der Analyse führen der technologische Fortschritte bei Datenanalyse und künstlicher Intelligenz dazu, dass Aufsichtsräte oft händeringend nach Kolleginnen und Kollegen mit Kenntnissen in diesen Kompetenzfeldern suchen. Risikomanagement besitzt ebenfalls derzeit höchste Priorität, da nach Einschätzung de Studienautoren in Europa eine längere Phase wirtschaftlicher Verwerfungen droht.
Gender Diversity trägt Früchte
43% aller neu besetzen Aufsichtsrat-Sitze gingen im Untersuchungszeitraum an Frauen, wobei die Quoten von Land zu Land stark variieren. In Spanien beispielsweise liegt der Anteil an Frauen unter den Neuaufsichtsräten bei 66%, in Belgien hingegen nur bei 31%. Der Drive, mehr weibliche Aufsichtsrätinnen in die Boards zu integrieren, hat nachgelassen. Im Vorjahreszeitraum gabe es nur 46% weibliche Besetzungen.
Dennoch ist der Anteil an Aufsichtsrätinnen in den führenden europäischen Konzernen nicht zuletzt durch die Einführung gesetzlicher Quoten höher als im operativen Top-Management. Über alle Unternehmen und Länder beträgt dieser Anteil derzeit 33%. Führend in dieser Betrachtung sind die Unternehmen in Frankreich (43%) und Italien (40%). Irland rangiert mit 27% am unteren Ende. Für Deutschland liegt der Wert bei 28%, wobei im Rahmen des „Board Monitor Europe“ die 90 Unternehmen des DAX und MDax berücksichtigt wurden.
(Pressemitteilung Heidrick & Struggles vom 11.07.2022)