Die Wahrscheinlichkeit, dass die deutsche Wirtschaft in den nächsten drei Monaten eine Rezession durchläuft, ist in den letzten Wochen auf bereits hohem Niveau noch leicht gestiegen. Das signalisiert der Konjunkturindikator des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung. Für den Zeitraum von Februar bis Ende April weist der Indikator, der die neuesten verfügbaren Daten zu den wichtigsten wirtschaftlichen Kenngrößen bündelt, eine Rezessionswahrscheinlichkeit von 61,7 % aus. Anfang Januar betrug sie für die folgenden drei Monate 56,8 %. Gleichzeitig ist die statistische Streuung im Indikator, in der sich die Verunsicherung der Wirtschaftsakteure ausdrückt, mit 18,8 % trotz eines geringfügigen Rückgangs weiter hoch. Das nach dem Ampelsystem arbeitende Konjunktur-Frühwarnsystem zeigt, wie in den Vormonaten, „rot“, was für eine akute Rezessionsgefahr steht, die bis ins zweite Quartal 2024 reicht.
Verschiedene Negativ-Faktoren
Der leichte Anstieg des Rezessionsrisikos beruht vor allem darauf, dass die Produktion im Verarbeitenden Gewerbe nach den aktuellsten verfügbaren Daten vom Dezember nochmals gesunken ist. Weitere Negativ-Faktoren sind die zuletzt schwachen Einzelhandelsumsätze und ein gestiegener „Finanzmarktstress“, den das IMK mit einem eigenen Indikator ermittelt. Dieser Anstieg geht unter anderem auf die aktuell überdurchschnittlich hohe Zahl an Unternehmensinsolvenzen im Vergleich zum Vorpandemiestand zurück. Dass die Rezessionswahrscheinlichkeit nicht noch stärker gestiegen ist, liegt daran, dass die Aufträge an das Verarbeitende Gewerbe zuletzt zugenommen haben. Diese positive Entwicklung sollte aber nicht überschätzt werden, erklärt IMK-Konjunkturexperte Dr. Thomas Theobald. Denn sie sei vor allem auf Großaufträge im Flugzeugbau zurückzuführen, die üblicherweise die konjunkturelle Grunddynamik weniger gut widerspiegeln.
„Einige wichtige Rahmenbedingungen verbessern sich aktuell eigentlich: Die Inflation ist deutlich rückläufig, was zu einer absehbar stärkeren Entwicklung der realen Einkommen in Deutschland führt. Parallel steigt die Erwartung, dass demnächst die hohen Leitzinsen zumindest moderat gesenkt werden. Schließlich scheint sich die Nachfrage nach Investitionsgütern bei wichtigen Handelspartnern wieder zu beleben, insbesondere in den USA“, analysiert Theobald das aktuelle Konjunkturbild. Grundsätzlich bestehe daher die Hoffnung, dass sowohl der private Verbrauch als auch die Exporte im Jahresverlauf moderate Wachstumsimpulse für die deutsche Wirtschaft liefern könnten. Allerdings laufe gleichzeitig eine Art Rennen gegen die Zeit, sagt der Ökonom: „Denn je länger die Konjunkturschwäche andauert, desto stärker droht, dass sie trotz Fachkräftemangels spürbar auf den Arbeitsmarkt durchschlägt.“
Droht chronische Wachstumsschwäche?
„Mit jedem Monat wächst das Risiko, dass die konjunkturelle Hängepartie, die wir seit mehreren Quartalen erleben, in eine chronische Wachstumsschwäche umschlägt“, warnt vor diesem Hintergrund IMK-Direktor Prof. Dr. Sebastian Dullien. In dieser Situation seien sowohl von der Europäischen Zentralbank (EZB) als auch von der Bundesregierung positive Signale gefordert: „Die EZB sollte möglichst bald die Zinsen senken. Und die deutsche Politik sollte realistische, schnell wirksame Maßnahmen auf den Weg bringen. Dazu gehören erweiterte Abschreibungsbedingungen für Unternehmen, wie sie im Wachstumschancengesetz vorgesehen sind, und eine klare Perspektive, dass die Schuldenbremse künftig nicht mehr dringend nötige öffentliche Investitionen ausbremsen kann“, sagt Dullien.
(Hans-Böckler-Stiftung vom 19.02.2024 / RES JURA Redaktionsbüro)