Die Zahl der deutschen Finanz-Start-ups wächst rasant. Die Erfolgsaussichten sind ungleich verteilt. Erste Anbieter sind schon wieder verschwunden.
Ein Tag ohne Meldung aus der Fintech-Branche? Das hat Seltenheitswert, denn die Anzahl von Finanz-Start-ups steigt rasant. Allein in Deutschland gibt es seit kurzem mehr als 400 Fintechs. Das zeigt die neueste Auswertung der Unternehmensberatung Barkow Consulting, die dem Handelsblatt vorliegt.
Die jungen Finanztechnologieunternehmen treten mal als Angreifer der etablierten Finanzmarktakteure an, mal setzen sie auf Kooperation oder sind Dienstleister hinter den Kulissen. In jedem Fall aber haben sie den Anspruch, innovativ zu sein und die Finanzwelt zu verändern. Manchen könnte das tatsächlich gelingen, viele werden bald wieder verschwunden sein.
Zahl der Fintechs deutlich gestiegen
„Im Vergleich zu unserer Erhebung vor einem Jahr ist die Zahl der Fintechs um 54 Prozent gestiegen“, sagt Berater Peter Barkow. Ein Grund für diesen enormen Anstieg sind die sogenannten Proptech-Start-ups, die sich im Bereich Immobilien tummeln, abgeleitet von „property“, also Immobilien. Hierzu zählen Wohnungsvermittler wie Nesthub und Moovin, die Plattform Brickspaces, über die kurzzeitig Gewerbeflächen vermietet werden, sowie das Indoor-Navigationssystem Navvis. Solche Anbieter hat Barkow jetzt erstmals mitgezählt. „Auch ohne sie kommen wir auf einen Zuwachs von 24 Prozent“, erklärt er.
Besonders stark wächst der Fintech-Markt rund um alternative Finanzierung und Geldanlage. Zur Finanzierung gehören Crowdinvesting- und Kreditplattformen, Barkow zählt 133 Firmen – 15 mehr als vor einem Jahr. Auch im Bereich Geldanlage sind binnen eines Jahres zwölf Anbieter hinzugekommen. Unter den nun 46 Unternehmen finden sich beispielsweise digitale Vermögensverwalter – auch Robo-Advisors genannt – und Zinskontenvermittler. Insgesamt sind in Deutschland innerhalb eines Jahres 79 neue Fintechs gestartet. Etablieren werden sich nur wenige, üblicherweise hält sich bloß eines von zehn Start-ups dauerhaft am Markt.
Einige Anbieter sind schon wieder verschwunden
„Bei Fintechs dürfte das nicht anders sein“ , sagt André Bajorat, Fintech-Experte und Gründer des Unternehmens Figo. Im vergangenen Jahr haben bereits 16 deutsche Finanz-Start-ups ihr Angebot eingestellt. „Die meisten stammen aus dem Bereich Zahlungsverkehr und P2P-Payment“, meint Barkow. Für Zahlungsexperten ist das keine Überraschung. „Im Bereich Payments ist es extrem schwierig, ein erfolgreiches, neues Angebot zu schaffen – gerade Start-ups müssen einen echten Mehrwert schaffen und auch Reichweite bieten“, sagt Sven Korschinowski von der Beratungsgesellschaft KPMG.
Aufgegeben hat beispielsweise die Otto-Tochter Yapital. „Für das mobile Bezahlen ist der QR-Code meiner Meinung nach nicht die geeignete Technologie“, so Korschinowski zum Yapital-Konzept. „Die Kunden wollen einfache und flächendeckende Lösungen.“ Doch die gibt es hierzulande längst: An der Kasse sind das Bargeld und Karten, im Onlineshop vor allem Lastschrift, Rechnung und Paypal. Auch bei Apps für Zahlungen zwischen Privatleuten, blieb der Erfolg aus. So haben etwa Avuba und Paymey ihre App-Angebote eingestellt. „Ich glaube nicht, dass wir in Deutschland dieses Jahr im Zahlungsverkehr viele neue Fintechs sehen“, berichtet Korschinowski. „Ein echter Fortschritt wäre eine Wallet-Lösung, bei der alles, was der Kunde im Portemonnaie hat, ins Smartphone übertragen würde – Bargeld, Geldkarten, Kundenkarten bis hin zu Ausweis und Führerschein.“ Für ein Start-up sei das aber nicht zu stemmen.
Chancen in den Bereichen Geldleihe und Geldanlage
Große Chancen sehen Berater dagegen weiterhin in den Bereichen Geldleihe und Geldanlage. Oliver Mihm, Chef der Unternehmensberatung Investors Marketing (IM), hat das Marktpotenzial für Kreditplattformen in Deutschland berechnet: Bei Neuabschlüssen von Konsumentenkrediten könnten Fintechs im Jahr 2020 einen Marktanteil von fünf Prozent erreichen. Das entspräche 4,4 Milliarden Euro. Robo-Advisors könnten laut Mihm bis zum Jahr 2020 mit rund 25 Milliarden Euro einen Marktanteil von 2,5 Prozent haben. Dafür müssten digitale Verwalter den etablierten Instituten Einlagen in Höhe von 13 Milliarden Euro abspenstig machen und dazu noch Kunden überzeugen, ihre Termin- und Spareinlagen in Wertpapiere umzuschichten.
Vielen Fintechs fehlt es an der Technologie
Immerhin ein kleines Stückchen vom großen Finanzmarkt-Kuchen dürfte für Fintechs also abfallen. Doch die Konkurrenz zwischen den Anbietern ist groß. Um erfolgreich zu sein, komme es auf echte Innovationen an, meint André Bajorat. „Bei vielen Fintechs vermisse ich eine innovative und nachhaltige Technologie“, sagt der Fintech-Experte. „Die Anbieter liefern oft eine nach außen hin schicke App, doch die Technik dahinter ist simpel und kann leicht kopiert werden.“ Besonders gute Erfolgschancen sieht Bajorat derzeit für Fintechs, die auf Kooperation mit etablierten Instituten setzen: „Viele Banken haben erkannt, dass sie stärker auf die Wünsche ihrer Kunden eingehen müssen. Fintechs können ihnen dabei helfen.“ Beispiel für einen solchen Helfer ist Gini, das Online-Überweisungen vereinfacht. Etliche Banken nutzen das bereits.
Insurtechs bedrohen Versicherungsvermittler
Einen prozentual gesehen besonders starken Zuwachs gab es zuletzt auch bei Versicherungs-Fintechs, kurz Insurtechs. Die jungen Firmen treten als Konkurrenten zu Versicherungsvermittlern auf. Ihnen bestätigt Bajorat ebenfalls ein „großes Potenzial, da sie einen besseren Service liefern als herkömmliche Vermittler“.
Redaktioneller Hinweis: Eine tiefergehende Analyse von FinTech in Deutschland finden Sie in dem Beitrag „FinTech in Deutschland – Eine Bestandsaufnahme: Die Interaktionsbeziehungen zwischen FinTech-Unternehmen und Finanzinstituten“ von Mathias Ollmann, M.Sc., und Dipl.-Ök. Jan-André Pramann. Der Beitrag erscheint in CORPORATE FINANCE, Heft Nr. 03 vom 07.03.2016, S. 45 und ist online vorab abrufbar unter der Dokumentennummer CF1192302.
(Quelle: Handelsblatt vom 29.02.2016)