Aufgrund der weltweiten Covid-19-Pandemie stieg die Zahl der deutschen Unternehmen, die ihre eigenen Gewinn- oder Umsatzprognosen nach unten korrigieren mussten, im vergangenen Jahr auf ein neues Rekordniveau: Insgesamt 210 Gewinn- oder Umsatzwarnungen wurden registriert, 43 mehr als im Vorjahr. Besonders kritisch war die Situation im ersten Halbjahr: Die Zahl der Gewinn- oder Umsatzwarnungen schnellte von 51 im ersten Halbjahr 2019 auf 160 in der ersten Jahreshälfte 2020 die Höhe. Mit 50 Gewinn- bzw. Umsatzwarnungen wurde im zweiten Halbjahr hingegen etwa wieder das Niveau des Vorjahres (51) erreicht.
Angesichts einer besser als erwarteten konjunkturellen Entwicklung im zweiten Halbjahr 2020 wendete sich im weiteren Jahresverlauf das Blatt auch bei den Gewinn- und Umsatzprognosen: Die Zahl der Gewinn- oder Umsatzerwartungen – das sind Meldungen, in denen Unternehmen das Übertreffen ihrer ursprünglichen Ziele ankündigen – stieg von 63 im ersten Halbjahr auf 104 in der zweiten Jahreshälfte und erreichte damit den höchsten Halbjahreswert seit 2011.
In Summe lagen also auch die positiven Prognosekorrekturen mit 167 deutlich höher als im Jahr 2019, als es nur 121 derartige Gewinn- oder Umsatzerwartungen gegeben hatte.
Besonders viele Negativ-Meldungen machten im vergangenen Jahr Medien- und Automobilunternehmen: 88 bzw. 85 Prozent der börsennotierten Medienunternehmen bzw. Automobilersteller und Zulieferer mussten ihren Ausblick nach unten korrigieren. Umgekehrt erhöhten vor allem Groß- und Einzelhänändler (61 Prozent – vor allem Online-Handel) und Pharma- bzw. Biotech-Unternehmen (50 Prozent) ihre Prognose.
Das sind Ergebnisse einer aktuellen Studie der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY, die veröffentlichungspflichtige Korrekturen an Gewinn- und Umsatzprognosen seit dem Jahr 2011 untersucht.
„Die Corona-Krise führte gerade in der ersten Jahreshälfte 2020 weltweit zu massiven Einschränkungen des Wirtschaftslebens, zu nie dagewesenen Umsatzausfällen und zu einer massiven Verunsicherung aufseiten von Unternehmen wie auch Verbrauchern“, sagt Milan Knarse, Partner bei EY in der Restrukturierungsberatung und Leiter Reshaping Results in Deutschland, Österreich und der Schweiz. „Statt Wachstumsstrategien zu verfolgen, schalteten viele Konzerne auf einen Notmodus um, mit dem das eigene Überleben gesichert werden sollte.“
„Belastbare Prognosen aufzustellen war in den Monaten, in denen sich Teile der Weltwirtschaft quasi in Schockstarre befanden, kaum noch möglich – entsprechend kassierten so viele Unternehmen ihre eigenen Ziele wie nie zuvor“, ergänzt Dr. Martin Steinbach, Partner und Leiter des Bereichs IPO and Listing Services bei EY. „Werkschließungen führten zu Einbrüchen der Industrieproduktion, zudem war nicht nur unklar, wie sich die Absatzmärkte entwickeln, es bestand auch Grund zur Sorge, dass internationale Lieferketten reißen könnten.“
Den starken Anstieg der positiven Korrekturen bei den Gewinn- und Umsatzprognosen im zweiten Halbjahr erklärt Knarse mit der raschen und deutlichen konjunkturellen Erholung in den Sommer- und Herbstmonaten: „Nach dem Einbruch im Frühjahr zog die Nachfrage im weiteren Jahresverlauf wieder spürbar an, einige Unternehmen konnten zudem ihre Produktion umstellen und ihre Produktpalette um besonders nachgefragte Güter erweitern. Positiv hat sich auch die gute Entwicklung in China ausgewirkt – gerade für die deutsche Automobilindustrie mit ihrer starken Präsenz in China. Dass sich die Nachfrage in der zweiten Jahreshälfte so positiv entwickelte, hat viele Unternehmen überrascht.“ Tatsächlich lag die Zahl der sogenannten Gewinn- bzw. Umsatzerwartungen im vierten Quartal mit 60 auf dem höchsten Niveau, das seit Beginn der Analyse in einem vierten Quartal erreicht wurde.
Handel und Pharmaunternehmen korrigierten Prognosen nach oben
Dass die Pandemie die unterschiedlichen Branchen sehr unterschiedlich stark traf, zeigt gerade der Blick auf die Positiv-Korrekturen: 61 Prozent der Groß- und Einzelhändler und jedes zweite Unternehmen aus dem Pharma-, Biotech- und Medtech-Segment veröffentlichte 2020 mindestens eine Gewinn- bzw. Umsatzerwartung. „Online- und Versandhändler oder auch Baumarktbetreiber haben im vergangenen Jahr das Geschäft ihres Lebens gemacht. Auf der anderen Seite mussten beispielsweise Autohersteller und Zulieferer sowie natürlich der Autohandel teils nie dagewesene Einbußen verkraften“.
Intensiver Dialog mit Investoren gefragt – neues Denken setzt sich durch
„Die Corona-Krise stellte und stellt eine enorme Herausforderung an die Unternehmen in ihrem operativen Geschäft, aber auch in ihrem Erwartungsmanagement gegenüber Analysten und Investoren dar – und zugleich eine Chance“, sagt Steinbach. „Viele Unternehmen konnten gerade in dieser schwierigen Situation Investorenvertrauen aufbauen durch eine weiterhin glaubwürdige und transparente Kommunikation, etwa in Bezug auf die Liquiditätslage und die Auswirkungen auf das Bilanzbild. Zudem werden die Langfristperspektive und -orientierung sowie das Thema Nachhaltigkeit bei Investoren immer wichtiger.“
Laut Knarse hat die Pandemie auch dazu geführt, dass sich bei immer mehr Unternehmen ein neues Denken und eine stärkere Bereitschaft, mutige strategische Schritte anzugehen, durchsetzt: „Die Pandemie ist noch nicht vorüber. Aber es ist wichtig, dass die Unternehmen sich jetzt bereits auf die Zeit danach vorbereiten und die Weichen stellen – und zunehmend sind die Unternehmenslenker bereit, sich mit neuen Szenarien und einer Neuausrichtung Ihres Geschäftsmodells zu befassen. Die Pandemie hat gezeigt, dass auch das scheinbar Unmögliche passieren kann. Weitere Umbrüche stehen bevor und werden den Unternehmen ebenfalls unkonventionelle Reaktionen abverlangen – etwa die Dekarbonisierung der gesamten Industrie, die bislang für zu viele ein Zukunftsthema war. Und natürlich die Digitalisierung der Abläufe und Produkte, die nun endlich als essenziell und überlebensnotwendig begriffen wird.“
(Pressemitteilung EY vom 09.04.2021)