Mit Schrecken blickt der Finanzsektor auf die Jahre nach 2007 zurück, als die Subprime-Krise ein Bankenbeben auslöste. Folgerichtig rückt mittlerweile der Fokus auf die Erschaffung einer EU-Bankenunion in den Mittelpunkt. Kürzlich übergab die Kreditwirtschaft ihren Schlussbericht an die Bundesregierung. Klare Forderungen zur Vereinfachung der Verbriefungsregeln sind darin enthalten. Eine Einschätzung hierzu liefert Dr. Martin Kaiser, Partner und Head of Securitisation (Europe) bei der internationalen Wirtschaftskanzlei Ashurst.
CF: Was sind die Hauptgründe, warum die deutsche Finanzindustrie eine Reform der EU-Verbriefungsregeln anstrebt?
Dr. Martin Kaiser: Die aktuell geltende europäische Verbriefungsverordnung (VVO) ist zu kompliziert und die Kapitalanforderungen für Verbriefungen in der CRR und für Versicherungen in der Solvency II sind zu hoch. Insbesondere im Vergleich zu ähnlichen Finanzierungsprodukten hat die Überkapitalisierung eine durch objektive Fakten nicht gerechtfertigte pönalisierende Wirkung zulasten von Verbriefungen. Die führt dazu, dass Investoren in andere Anlageformen ausweichen und die Marktteilnahme gering ist, obwohl es das erklärte Ziel des europäischen Gesetzgebers war, mit der VVO den nach der Finanzkrise angeschlagenen europäischen Verbriefungsmarkt wieder zu aktivieren.
CF: Wie wichtig ist die Revitalisierung des Verbriefungsmarktes für die Mobilisierung von Kapital, und welche Branchen könnten besonders davon profitieren?
Dr. Martin Kaiser: Verbriefungen sind ein wesentliches Instrument für Banken und Wirtschaftsunternehmen zur Finanzierung von Investitionen, Kreditportfolios und Arbeitskapital. Sie ermöglichen die Kapital- und Liquiditätssteuerung, indem Banken eingegangene Risiken auf Kapitalmarktinvestoren übertragen, die je nach Risikoappetit investieren können. An bestimmte Branchen ist dies nicht gebunden. Verbriefungen verbinden die bankbasierte Unternehmensfinanzierung mit den Kapitalmärkten und erweitern das Anlagespektrum für Investoren. Gerade in Deutschland sind sie ein wichtiges Instrument, um die Abhängigkeit des Mittelstands von Banken zu reduzieren – der Mittelstand in Deutschland ist zu 80% von bankfinanzierter Unternehmensfinanzierung abhängig.
CF: Welche spezifischen Veränderungen fordern deutsche Banken in Bezug auf die Kapitalanforderungen für Verbriefungen?
Dr. Martin Kaiser: Banken in Deutschland wie auch sonst in Europa fordern risikoadäquate Kapitalanforderungen für Verbriefungen sowohl auf Seiten der Originatoren (d. h. die Kapitalgewichte für Senior Tranchen) als auch für Banken und Nicht-Banken-Investoren wie z. B. Versicherungen, damit sowohl angebots- als auch nachfrageseitig mehr Marktvolumen generiert werden kann. Die im Jahr 2019 eingeführten überhöhten Kapitalanforderungen und die bewusste Überkapitalisierung müssen korrigiert werden.
CF: Warum sehen Banken die Verringerung der Berichtspflichten in der EU-Verbriefungsverordnung als notwendig an?
Dr. Martin Kaiser: Die VVO zielte darauf, die Informationsdefizite zu beseitigen, die zur Finanzkrise von 2008 beigetragen haben. Damals wurde das Informationsgefälle zwischen den Arrangeuren von Verbriefungen und den Investoren beklagt. Die VVO hat nun überkompensiert. Die aktuellen Berichtspflichten führen zu überbordenden Reportinganforderungen, ohne dass durch den Aufwand ein echter Nutzen für Investoren und Aufsichtsbehörden geschaffen wird. Die Zugriffszahlen auf die Datenbanken liegen ja nach sechs Jahren Anwendung der VVO vor. Es werden nachweislich Daten gesammelt, die Investoren nicht abrufen.
Dazu kommt, dass die VVO eine Doppelbelastung schafft: Zum einen müssen Originatoren und Sponsorten von Verbriefungen eine Vielzahl Daten erheben und in die dafür bestimmten Datenbanken einstellen. Zum anderen zwingt die VVO Investoren dazu, im Rahmen von detaillierten Due Diligence-Prüfungen zu prüfen, dass die Originatoren und Sponsoren diese Daten auch wirklich erheben und einstellen.
CF: Welche Rolle könnte eine Anpassung der aufsichtsrechtlichen Prozesse für Investitionen im Verbriefungsmarkt spielen?
Dr. Martin Kaiser: Es ist wichtig, dass die aufsichtsrechtlichen Genehmigungsprozesse nicht zu einem Nadelöhr werden. Diese Prozesse, insbesondere die Prozesse zur Genehmigung von SRT-Transaktionen (Significant Risk Transfer), müssen verschlankt werden. Die Abstimmungen mit der Aufsicht zur regulatorischen Anerkennung der Kapitalentlastung ist oft zäh und zeitraubend. Es fehlen transparente und einheitlich abgestimmte Leitplanken, die Banken und Aufsicht mehr Zuverlässigkeit bei der Planung von SRT-Transaktionen ermöglichen würden. Daher wird vorgeschlagen, ein Fast-Track-Verfahren für Wiederholungstransaktionen einzuführen, um die Emissionsprozesse zu verkürzen und die Planungssicherheit zu erhöhen.
CF: Inwieweit könnte eine Reform der Verbriefungsregeln kleinere Investoren und Unternehmen zum Markteintritt ermutigen?
Dr. Martin Kaiser: Der Fokus der Reformvorschläge liegt nicht so sehr bei den Investoren. Die VVO verbietet Verbriefungen für Retailinvestoren und ich habe den Eindruck, dass dies im Markt als sinnvoll wahrgenommen wird. Wichtig ist, die Vorteile von Verbriefungen im Bereich der Working Capital-Finanzierung für Mittelständler niedrigschwellig möglich zu machen, um die Refinanzierungsmöglichkeiten über die Hausbankbeziehung hinaus zu erweitern. Dazu ist es nötig, die Eintrittshürden zu senken und die Transaktionskosten und die Reportingverpflichtungen zu senken.
CF: Wie beurteilen Sie die französische Idee, die Verbriefungsreform durch staatliche Garantien zu unterstützen?
Dr. Martin Kaiser: Staatliche Garantien können positive, marktstimulierende Effekte erzeugen und dazu beitragen, das Vertrauen zu stärken und die Liquidität im Markt zu erhöhen. Dies könnte insbesondere in Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit hilfreich sein. In den USA tragen staatlich unterstützte Unternehmen wie Fannie Mae, Freddie Mac und Ginnie Mae erheblich zur Größe des amerikanischen Verbriefungsmarkts bei.
Der Einsatz staatlicher Garantien geht jedoch mit hohen Kosten einher und entfaltet seine Wirksamkeit eher langfristig. Zudem besteht das Risiko unerwünschter Nebeneffekte, wie zum Beispiel Marktverzerrungen oder eine übermäßige Abhängigkeit von staatlicher Unterstützung – das scheint mir sowieso ein schleichender Trend zu sein und es ist Zeit, wieder mehr wirtschaftliche Freiheit zu wagen. Daher sollte den genannten regulatorischen Anpassungen Vorrang vor dem Einsatz staatlicher Garantien gewährt werden.
CF: Wie stehen deutsche Finanzinstitute zur Idee, dass Verbriefungen teilweise für die Finanzkrise verantwortlich waren?
Dr. Martin Kaiser: Europäische Verbriefungen, insbesondere deutsche, waren nicht für die Finanzkrise verantwortlich. Für die Finanzkrise verantwortlich waren bestimmte Formen von amerikanischen Verbriefungen, Stichwort ‚Sub-Prime‘ und ‚CDO2‘, in die deutsche Banken überproportional investierten. Die Ausfallraten europäischer Verbriefungen waren im Vergleich zu den USA sehr gering. Dies spiegelt die strengeren Kreditvergabestandards in Europa und die insbesondere in Deutschland immer schon viel konservativeren Strukturen wider. Mir ist keine deutsche Verbriefungstransaktion bekannt, bei der ein Investor einen Verlust erlitten hätte. Im Gegenteil, auch zu den Höchstzeiten der Krise haben wir deutsche Auto-Verbriefungen aufgesetzt, die von den Investoren damals gerne als sicherer Hafen angenommen wurden. Gleiches gilt für ABCP-Programme mit Mittelständlern, die in Zeiten angeschlagener und zögerlicher Banken eine stabile Finanzierungsalternative boten.
CF: Welche Chancen sehen Sie, dass die geplante Reform den Verbriefungsmarkt in der EU langfristig stabilisiert?
Dr. Martin Kaiser: Der Verbriefungsmarkt in der EU ist ja bereits stabil. Die VVO kann den Erfolg für sich verbuchen, dass nach der Finanzkrise das Vertrauen in Verbriefungsstrukturen wieder hergestellt wurde, weil die Marktteilnehmer nun wussten, dass Verbriefungen zwingend bestimmte Anforderungen erfüllen müssen. Niemand, mit dem ich gesprochen habe, will die VVO abschaffen oder fundamental ändern. Vielmehr soll dort, wo die VVO an den falschen Stellen ansetzt oder wo sie zwar an den richtigen Stellen ansetzt, aber über das Ziel hinausschießt, punktgenau nachgesteuert werden. Es geht um viele kleine Stellschrauben, die mit Augenmaß justiert werden. Dies dient dazu, den Verbriefungsmarkt zu aktivieren und das Verbriefungsvolumen zu erhöhen, um die europäische Wirtschaft wieder wettbewerbsfähig zu machen.
CF: Welche Herausforderungen gibt es beim Einbezug nationaler Gesetze für internationale Verbriefungstransaktionen?
Dr. Martin Kaiser: Die VVO deckt europaweit regulatorische Fragen ab. Bei der Umsetzung und Dokumentation von Verbriefungen gilt dann aber lokales Zivil- und Insolvenzrecht. In Deutschland sind viele Rechtsfragen, die sich bei Verbriefungen standardmäßig ergeben, weniger klar, als man sich wünschen würde, beispielsweise wann exakt ein ‚true sale‘ vorliegt. Außerdem sind gewisse rechtliche Strukturen, die wünschenswert und in anderen Ländern üblich sind, unter deutschem Recht nicht möglich. Daher werden auch auf Ebene des nationalen Rechts in Deutschland eine Reihe von Vorschlägen für ein deutsches Verbriefungsgesetz gemacht, beispielsweise, eine Verbriefungs-GmbH als deutsche Verbriefungszweckgesellschaften zu schaffen, damit kein Ausweichen auf Luxemburg oder Irland mehr nötig ist. Dazu muss flankierend eine steuerliche Doppelbelastung bei deutschen Verbriefungszweckgesellschaften beseitigt werden. Daneben wird eine Änderung im Insolvenzrecht vorgeschlagen, so dass Dauerschuldverhältnisse bei Insolvenz des Originators nicht mehr beendet werden. Dadurch wird erreicht, dass Lizenzverträge insolvenzfest verbrieft werden können. Dies ist wichtig, weil viele Geschäftsmodelle wie zum Beispiel SaaS (Software as a Service) juristisch als Lizenzverträge ausgestaltet sind. Wie gesagt, es sind zahlreiche kleine Vorschläge und die hier genannten sind nur einige wenige.
CF: Inwiefern könnte eine Reform auch positive Auswirkungen auf die Liquiditätsdeckung (Liquidity Coverage Ratio) haben?
Dr. Martin Kaiser: Bisher werden Verbriefungen aufsichtsrechtlich als „HQLA 2b“ behandelt. Damit tragen sie kaum zur Liquidity Coverage Ratio bei. Niedrige Bid-Ask-Spreads im Markt deuten allerdings auf eine gute Marktliquidität hin. Daher sollten Verbriefungen als „HQLA 2a“ behandelt werden. Dies hätte positive Auswirkungen auf die Liquidity Coverage Ratio. Banken werden einen wesentlichen Beitrag zum Marktwachstum bei öffentlichen ABS bei den Senior Tranchen leisten. Dafür sind Kapitalanforderungen ebenso wie die Liquidity Coverage Ratio-Einstufung zu verbessern.
CF: Vielen Dank für das spannende Interview!
Das Interview führte Viola C. Didier, RES JURA Redaktionsbüro