Die schwächelnde Konjunktur und zunehmende internationale Handelskonflikte machen immer mehr deutschen Unternehmen zu schaffen, so dass sie ihre eigenen Umsatz- oder Gewinnprognosen nach unten korrigieren müssen: Im ersten Halbjahr gaben die 308 im Prime Standard gelisteten Unternehmen insgesamt 54 Gewinn- oder Umsatzwarnungen heraus – ein Anstieg um 38 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum und ein neuer Höchststand. Erstmals seit dem ersten Halbjahr 2014 lag damit zudem die Zahl der Unternehmen, die ihre eigenen Ziele verfehlten, höher als die Zahl derer, die sich besser als angekündigt entwickeln: Insgesamt 51 sogenannte Gewinnerwartungen wurden veröffentlicht – etwas mehr als im Vorjahr (43), aber nur halb so viele wie im ersten Halbjahr 2017.
Sowohl im DAX als auch im MDAX und SDAX lag die Zahl negativer Prognosekorrekturen auf Rekordniveau: Im DAX und im MDAX legten die Warnungen jeweils von fünf auf sieben zu, im SDAX stieg die Zahl sogar von fünf auf 12. Im übrigen Prime Standard wurden 28 Warnungen gezählt – nach 24 im Vorjahreszeitraum. Während im DAX nur ein Unternehmen die eigenen Ziele übertroffen hat, gab es in den übrigen Segmenten ähnlich viele negative wie positive Prognosekorrekturen. Insgesamt haben damit 29 Prozent der börsennotierten Unternehmen die eigene Prognose im ersten Halbjahr nach oben oder nach unten revidiert – im Vorjahreszeitraum lag der Anteil nur bei 23 Prozent.
Das sind Ergebnisse einer aktuellen Studie der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY, die veröffentlichungspflichtige Korrekturen an Gewinn- und Umsatzprognosen seit dem Jahr 2011 untersucht.
„Der Gegenwind für die deutschen Unternehmen nimmt zu. Zahlreiche Unternehmen mussten schon zu Beginn des Geschäftsjahres feststellen, dass ihre ohnehin nicht übermäßig optimistischen Prognosen doch nicht erreichbar sind“, beobachtet Dr. Martin Steinbach, Partner und Leiter des Bereichs IPO and Listing Services bei EY: „Die weltweite Konjunktur verliert deutlich an Kraft, der amerikanisch-chinesische Handelskonflikt, der nun auch zu einem Währungskrieg geworden ist, sorgt für erhebliche Unsicherheit. Und in Europa scheint alles auf einen harten Brexit hinauszulaufen. Gute Nachrichten werden immer seltener.“
Es gebe allerdings noch keinen generellen Negativtrend über alle Branchen hinweg, betont Dr. Marc Förstemann, Partner bei EY in der operativen Restrukturierungsberatung: „Zwar leiden viele große Industriekonzerne zunehmend unter schwächelnden Auslandsmärkten und einer nachlassenden Investitionsbereitschaft. Auf der anderen Seite gibt es nach wie vor etliche Unternehmen, die sich besser entwickeln als erwartet. Gerade kleinere, stark spezialisierte Pharma- oder Technologie-Unternehmen legen teils sehr gute Zahlen vor. Auch in der Immobilienbranche laufen die Geschäfte überwiegend gut.“
Autobranche leidet besonders stark
Die meisten Warnungen kamen im ersten Halbjahr aus der Automobilbranche: Fünf der zwölf börsennotierten Autokonzerne bzw. -zulieferer mussten im ersten Halbjahr ihre Prognosen nach unten korrigieren. „Die weltweite Autokonjunktur entwickelt sich schlechter als erwartet, die technologischen und strukturellen Herausforderungen sind enorm“, sagt Förstemann. „Der weltweite Absatzrückgang trifft die Branche zu einem sehr ungünstigen Zeitpunkt – denn ohnehin stehen die Gewinne aufgrund hoher Investitionen derzeit stark unter Druck.“
Auffallend ist, dass Großkonzerne den konjunkturellen Gegenwind offenbar deutlich stärker zu spüren bekommen als kleinere Unternehmen: So haben nur vier Prozent der Konzerne mit einem Jahresumsatz von mehr als fünf Milliarden Euro die eigene Prognose angehoben. In der Gruppe der Unternehmen mit höchstens 250 Millionen Euro Umsatz liegt der Anteil der Unternehmen mit Positiv-Korrekturen hingegen bei 23 Prozent.
„Die Globalisierung macht gerade leider einige Schritte zurück“, sagt Förstemann. „Neue Handelsschranken sorgen dafür, dass gerade breit aufgestellte und international tätige Unternehmen alle Hände voll zu tun haben, ihre weltweit eng verzahnten Produktionsverbünde, Entwicklungszentren und Komponentenwerke neu aufzustellen und gegen verändertes Kaufverhalten, Zollrisiken und potenzielle Unterbrechungen der Lieferketten zu wappnen.“ Eine Belastungsprobe stelle der bevorstehende Brexit dar: „Jetzt müssen die Notfallpläne in Gang gesetzt werden – und es wird sich zeigen, wie flexibel und gut vorbereitet die Unternehmen tatsächlich sind. Wir können davon ausgehen, dass ein Brexit ohne Vertrag zu erheblichen Umsatzrückgängen und zu einer neuen Welle von Gewinnwarnungen führen wird. Ebenso wird es Profiteure geben, welche dann bessere Gewinnchancen haben werden.“
Management der Erwartungen nötig
Laut Steinbach sollten sich die Unternehmen auf anhaltend schwierige politische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen einstellen: „In derart unsicheren Zeiten wird das Erwartungsmanagement bei Analysten und Investoren immer wichtiger. Nur wer im ständigen Dialog mit dem Finanzmarkt steht und dabei transparent und kompetent kommuniziert, kann Überraschungen und damit starke Kursausschläge vermeiden.“
Immerhin scheint der Finanzmarkt Prognosekorrekturen inzwischen gelassener aufzunehmen als noch im vergangenen Jahr: Im Durchschnitt sanken die Kurse am Tag der Warnung um fünf Prozent – im Vorjahr lag der Kursverlust noch bei durchschnittlich acht Prozent. Allerdings fielen die Korrekturen mit minus 33 Prozent auch weniger heftig aus als noch im Vorjahr, als die Gewinnprognosen der Unternehmen im Durchschnitt um 41 Prozent nach unten korrigiert wurden.
Wenn hingegen Unternehmen ein Übertreffen ihrer Prognosen ankündigten, führte das im Schnitt zu einem Anstieg des Aktienkurses um nur zwei Prozent – was allerdings auch mit einer deutlich geringeren durchschnittlichen Anhebung des Gewinnziels um 21 Prozent korrespondiert.
(Pressemitteilung EY vom 04.09.2019)