Im Jahr 2018 wurde der Einstieg von kapitalstarken privaten Finanzinvestoren in den deutschen Gesundheitsmarkt in der Medienöffentlichkeit beleuchtet. Ihr Geschäftsmodell basiert darauf Krankenhäuser, Arztpraxen, Pflegeheime und -dienste zu kaufen, diese zu restrukturieren und wieder zu verkaufen. Rund 130 Übernahmen von Unternehmen im Gesundheitssektor gab es seit dem Jahr 2013, 60 Prozent davon allein in den letzten zwei Jahren.
Das stellte das Institut Arbeit und Technik (IAT/ Westfälische Hochschule) in der ersten wissenschaftlichen Studie zu diesem Thema fest.
Das IAT-Forschungsteam mit Dr. Christoph Scheuplein, Michaela Evans und Dr. Sebastian Merkel untersuchte die Aktivitäten von Private Equity-Gesellschaften im Bereich der Patientenversorgung. Dabei zeigte sich, dass der Gesundheitssektor bereits im Jahr 2017 zur wichtigsten Zielbranche dieser Finanzinvestoren geworden ist. „Die Dynamik hat insbesondere in den letzten Jahren zugenommen. Wichtig ist es daher, die weitere Entwicklung zu beobachten und potenzielle Auswirkungen zu analysieren.“ kommentiert Dr. Sebastian Merkel.
Es lassen sich vor allem zwei Trends identifizieren: Erstens, die Pflegeheime bzw. Pflegedienste sind der wirtschaftlich wichtigste Bereich der Übernahmen gewesen mit rund 37.000 und damit mehr als der Hälfte aller Beschäftigten in den übernommenen Unternehmen. Hier entfallen bereits relevante Marktanteile auf die Private Equity-geführten Unternehmen. „Für die Beschäftigten sind der Wechsel des Eigentümers und die möglichen Folgen häufig nicht transparent. Gerade in der Altenpflege ist es problematisch, wenn Spielräume der Lohngestaltung und des Personalbesatzes genutzt werden und die ohnehin knappen Ressourcen als Renditen ins Ausland abfließen.“ sagt die Arbeitsforscherin Michaela Evans. Zweitens, der Trend zur Übernahme von Facharztsparten ist vor allem bei Zahnmedizin, Radiologie und Augenheilkunde erkennbar. Bislang ist erst die geringe Zahl von etwas mehr als 30 Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) durch Private Equity-Gesellschaften übernommen worden. Allerdings entfielen 80 Prozent dieser Fälle auf den Zeitraum des Jahres 2017 und des ersten Halbjahres 2018.
Bei den Facharztpraxen beginnt der Übernahme-Prozess offenbar gerade erst. Ein Beispiel hierfür ist die Zahnmedizin, in der inzwischen sieben „Zahnarzt-Ketten“ aufgebaut werden, von denen drei erst im Jahr 2018 ihren Expansionsprozess in Deutschland begonnen haben. Häufig wird eine „Buy-and-Build“-Strategie verfolgt, bei der fachgleiche Einrichtungen in eine neue Unternehmenskette integriert werden, um Skaleneffekte und Kostenvorteile zu erzielen. Wie sich bei den Zahnmedizinern zeigt, werden integrierte Konzerne aufgebaut, bei denen alle Aktivitäten z.B. von der Zahnersatzherstellung über Labore bis zur Patientenversorgung angeboten werden. Diese Zahnmedizin-Ketten sind überwiegend europaweit aufgestellt. Sie bieten für ihre Betriebsstandorte zentrale Funktionen an wie z.B. das Rechnungswesen und Marketing, können aber auch über die Entwicklung von medizinischen Behandlungskonzepten die Qualität der Patientenversorgung beeinflussen.
Private Equity-Übernahmen bedeuten zugleich eine starke Internationalisierung der Eigentümerstrukturen. Während die ursprünglichen Eigentümer der Gesundheitseinrichtungen ganz überwiegend ihren rechtlichen Sitz in Deutschland hatten, trifft dies nur auf etwa ein Drittel der Käufer zu. „Alle Erfahrungen mit Private Equity in Deutschland zeigen, dass dies nur wenig gemildert wird, wenn die Finanzinvestoren wieder ihre Unternehmen verkaufen“ betont der Sozialwissenschaftler Dr. Christoph Scheuplein.
Überwiegend wurden die Übernahmen von kapitalkräftigen, fonds-basierten Private Equity-Gesellschaften aus verschiedenen europäischen Ländern und aus den Vereinigten Staaten getätigt. Zwei Drittel der beteiligten Fonds hatten ihren rechtlichen Sitz in einem Offshore-Finanzzentrum, insbesondere auf den Cayman Islands und auf Guernsey. An diese Standorte fließen die im deutschen Gesundheitssektor erzielten Gewinne. Gründe für die gegenwärtige Aktivität an Übernahmen sieht das IAT-Team vor allem in der veränderten Regulierung des Gesundheitsmarktes sowie in dem starken Kapitalangebot der Private Equity-Gesellschaften, dem eine rückläufige Zahl an erwerbbaren (großen) Unternehmen gegenübersteht.
(Pressemitteilung IAT vom 13.02.2019)