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29.05.2020

Massiver Rückgang bei ausländischen Direktinvestitionen in Europa erwartet

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© Mustansar/fotolia.com

Europa konnte sich im vergangenen Jahr als attraktiver Investitionsstandort behaupten und insgesamt 6.412 Investitionsprojekte von ausländischen Unternehmen anziehen. Das ist ein Prozent mehr als im Vorjahr und der zweithöchste je gemessene Wert. Im Ländervergleich belegte Frankreich dank eines Zuwachses von 17 Prozent erstmals den ersten Platz – vor Großbritannien und Deutschland. Während Großbritannien trotz der Brexit-Unsicherheit fünf Prozent mehr Projekte registrierte als 2018, lag die Zahl der Investitionen in Deutschland auf dem Niveau des Vorjahres.

Die Stagnation in Deutschland ist vor allem auf die Zurückhaltung von US-Konzernen zurückzuführen: Um 12 Prozent sank die Zahl der angekündigten Projekte von US-Firmen, die aber trotz dieses Rückgangs weiterhin die mit Abstand wichtigsten Investoren in Deutschland waren. Deutlich gestiegen ist im vergangenen Jahr das Engagement von chinesischen und türkischen Unternehmen in Deutschland: Die Zahl der chinesischen Investitionsprojekte stieg um 27 Prozent auf 84, die Projektankündigungen türkischer Unternehmen haben sich sogar auf 77 mehr als verdoppelt.

Deutsche Unternehmen erwiesen sich im vergangenen Jahr erneut als investitionsfreudig: Insgesamt 675 Investitionen führten sie im europäischen Ausland durch. Das waren zwar drei Prozent weniger als im Vorjahr, dennoch belegen deutsche Unternehmen damit hinter US-amerikanischen und vor britischen Unternehmen erneut den zweiten Platz im Ranking der Nationen, die in Europa investieren. Das sind Ergebnisse einer Studie der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY (Ernst & Young) zu Investitionsprojekten ausländischer Unternehmen in Europa.

Von den im vergangenen Jahr europaweit angekündigten 6.412 Investitionsprojekten wurden nach EY-Schätzung 65 Prozent vor dem Ausbruch der Covid-19-Pandemie realisiert oder befinden sich nach wie vor in der Umsetzung. 25 Prozent wurden aufgeschoben und zehn Prozent gestrichen. „Die Corona-Krise führt weltweit aufseiten der Unternehmen zu massiven Sparmaßnahmen. Investitionen werden auf ein Minimum reduziert“, beobachtet Hubert Barth, Vorsitzender der Geschäftsführung von EY Deutschland. „Jetzt geht es bei vielen Unternehmen in erster Linie darum, Liquidität im Unternehmen zu halten, zumal unklar ist, wie stark und nachhaltig der Konjunktureinbruch ausfällt und wie sich Absatzmärkte mittelfristig entwickeln werden.“

Insgesamt sei im laufenden Jahr mit einem Rückgang der ausländischen Investitionen um 35 bis 50 Prozent zu rechnen, wobei die Entwicklung je nach Branche sehr unterschiedlich verlaufen dürfte. „Maschinenbau und Autoindustrie etwa treten derzeit bei Investitionen massiv auf die Bremse, Pharmaunternehmen erhöhen hingegen teilweise ihre Kapazitäten. Und auch in die digitale Infrastruktur wird kräftig investiert, der digitale Wandel beschleunigt sich gerade“, beobachtet Barth.

Staatliche Investitionen gewinnen an Bedeutung

Während die Privatwirtschaft derzeit nicht unbedingt notwendige Ausgaben weitgehend herunterfahre, gewinne der Staat als Akteur an Bedeutung, ergänzt Bernhard Lorentz, Partner bei EY und Leiter des Bereichs Government & Public Sector für Deutschland, die Schweiz und Österreich: „Vorübergehend werden wir ein stärkeres staatliches Engagement sehen – zumindest in den Ländern, deren Regierungen über die nötigen Finanzmittel verfügen.“ Zunächst gehe es dabei um staatliche Konjunkturhilfen, aber auch eine intensivierte Industriepolitik und staatliche Infrastrukturprogramme seien wahrscheinlich. Auch im Gesundheitssektor werde der Staat mittelfristig eine größere Rolle spielen, erwartet Lorentz.

Neue Kriterien für Investitionsentscheidungen rücken ins Blickfeld

In Einzelfällen und in bestimmten Branchen werde versucht, die Produktion wieder verstärkt in Europa anzusiedeln, um die Abhängigkeit von Produkten und Vorprodukten aus Ländern wie China oder Indien zu reduzieren, erwartet Barth. Mit einem generellen Trend zum sogenannten Nearshoring rechnet Barth dennoch nicht: „Eine Nationalisierung der Lieferketten bringt uns nicht bedeutend weiter, das würde zu signifikant steigenden Kosten und sinkender Wettbewerbsfähigkeit führen.“

Barth erwartet aber, dass für Unternehmen bei Entscheidungen über Lieferanten und Investitionen neue Prioritäten gelten werden: „Kosten werden auch zukünftig eine sehr wichtige Rolle spielen. Aber zunehmend geraten die Belastbarkeit und Nachhaltigkeit von Lieferketten in den Fokus. Und es ist in der Krise deutlich geworden, dass Unternehmen nicht nur von einem Land, einem Zulieferer oder einem Kunden abhängig sein sollten.“ Bei Investitionsentscheidungen werde es zukünftig verstärkt auch um Kriterien wie Lebensqualität, Gesundheit und Wohlbefinden sowie ein Umfeld mit guter Gesundheitsversorgung am Investitionsstandort gehen.

Krise stellt Erholung in Südeuropa in Frage – Stärkung Osteuropas?

Die südeuropäischen Länder – insbesondere Spanien, Frankreich und Portugal – konnten in den vergangenen Jahren in der Gunst ausländischer Investoren besonders stark zulegen: Im Jahr 2019 stieg in Frankreich die Zahl der Projekte um 17 Prozent, in Spanien um 55 Prozent, in Portugal haben sich die Investitionen sogar mehr als verdoppelt. Portugal verbesserte sich damit im europäischen Standortranking von Rang 16 auf Rang elf. Auch Italien verzeichnete mehr Investitionsprojekte – plus fünf Prozent –, und kletterte im Ranking von Rang 14 auf Rang 12.

„Im vergangenen Jahr kam die Erholung der südeuropäischen Volkswirtschaften gut voran,“ sagt Lorentz. „Anders als in Deutschland und im Norden Europas bremste kein Fachkräftemangel die Dynamik, die Perspektiven waren gut, die Investoren kehrten zurück.“ Gerade diese Länder stünden aber nun vor dem stärksten konjunkturellen Absturz, so Lorentz: „Der Süden Europas ist mit am stärksten von der Corona-Krise betroffen. Es wird daher für diese Länder besonders schwer werden, das Vorkrisenniveau zu erreichen und wieder zu attraktiven Investitionsstandorten zu werden.“

Lorentz hält ein Erstarken Osteuropas hingegen für wahrscheinlich: „Die mittel- und osteuropäischen Länder hatten im vergangenen Jahr fast durchweg Einbußen bei der Zahl der Investitionsprojekte verzeichnet: Polen um 26 Prozent, Rumänien um 28 Prozent, Tschechien um 35 Prozent, die baltischen Staaten um 23 Prozent. Nun könnte sich für sie das Blatt wenden. Die meisten Länder in der Region konnten bislang die gesundheitlichen Folgen der Pandemie relativ gut meistern, sie haben einen hohen Digitalisierungsgrad und ein gutes Ausbildungsniveau. Gerade deutsche Unternehmen könnten sich in den kommenden Jahren noch stärker in Richtung Osten orientieren.“

Deutsche Konzerne sind die größten europäischen Investoren in Osteuropa

In den Ländern Mittel- und Osteuropas sind deutsche Unternehmen traditionell die mit Abstand wichtigsten Investoren: Sie haben 2019 die Zahl der Projekte in den Ländern Mittel- und Osteuropas um 1 Prozent auf 253 erhöht, ihr Marktanteil vor Ort stieg von 16 auf 20 Prozent. US-Konzerne haben ihr Engagement hingegen um 21 Prozent auf 176 Projekte reduziert.

Hauptinvestitionsziele deutscher Unternehmen im Ausland waren im vergangenen Jahr Frankreich (143 Projekte, minus 24 Prozent), Großbritannien (75 Projekte, plus 6 Prozent) und Spanien (67 Projekte, plus 43 Prozent).

(Pressemitteilung EY vom 28.05.2020)


Redaktion

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