„Europäische Firmen agieren oftmals mit einer gehörigen Portion Blauäugigkeit in China“, sagt der Asien-Experte Karlheinz Zuerl, CEO der German Technology & Engineering Corporation (GTEC). Vom Personalwesen bis zum Qualitätsmanagement wendeten die Unternehmen in der Regel die in Europa üblichen Verfahren an, ohne dem völlig anderen sozialen Umfeld und den kulturellen Unterschieden ausreichend Rechnung zu tragen.
Familie statt Firma im Vordergrund bei Entscheidungen
GTEC-Chef Karlheinz Zuerl gibt ein Beispiel: „Der bei uns in Europa negative Begriff der Vetternwirtschaft stellt in China den Regelfall dar. Wer eine gute Position bekommt, ist seiner Familie verpflichtet, so viele Verwandte wie möglich ebenfalls mit einem Job zu versorgen. Wie gut das gelingt, entscheidet darüber, ob man der Held seiner Familie ist oder das schwarze Schaf.“ Daher sei es kulturell begründet, urteilt der Asien-Experte, wenn „Mitarbeitende auf praktisch allen Hierarchieebenen ihren familiären Status vor die Belange des Arbeitgebers“ stellten.
Karlheinz Zuerl verdeutlicht: „Die dabei eingesetzten Methoden würden wir in Europa häufig als kriminell bezeichnen, aber in China gehören sie zum Alltag.“ So seien Kreuz-Einstellungen zahlreicher miteinander befreundeter Familien in China die Regel. Das hat nach Erfahrungen des Asien-Experten zur Folge, dass viele unternehmerische Entscheidungen weniger an den betrieblichen Belangen als vielmehr entlang familiärer Verkettungen gefällt würden.
Häufig falsche Einschätzungen westlicher Manager
Karlheinz Zuerl spricht aus der Erfahrung dutzender von Beratungsmandaten seines Unternehmens für europäische Unternehmen: „Viele westliche Manager leiten in China einen Familienbetrieb und wissen es nicht einmal.“ Die interkulturellen Missverständnisse machen allerdings bei der „Familienwirtschaft“ nicht Halt, stellt der GTEC-CEO klar. So kommt es nach seiner Erfahrung auch beim Qualitätsmanagement häufig zu völlig falschen Einschätzungen westlicher Führungskräfte bezüglich der Anforderungen und Erwartungen in chinesischen Produktionsstätten.
Karlheinz Zuerl erklärt: „In China herrscht beim Einkauf eine Zero-Fehlertoleranz, das heißt, es dürfen null Fehler beim Kunden ankommen. Aber bei der Fertigung wird es selbst bei glasklaren Vorgaben nicht immer so genau genommen. Angesichts dieser Situation sind viel häufigere und viel strengere Qualitätskontrollen als in Europa notwendig, um den Kundenansprüchen zu genügen.“
Fehler werden aus der Ferne zu spät erkannt
Der Asien-Experte weiß aus seinen Erfahrungen, dass Qualität in der Fertigung nicht nur in China nur mit einer stetigen Präsenz vor Ort zu erreichen ist. „Entweder entsendet man Führungskräfte, die einige Jahre Erfahrung mit der dortigen Kultur besitzen sollten, oder man findet einen vertrauenswürdigen Repräsentanten vor Ort, der allerdings in keine familiären Bande eingebunden sein darf“, sagt Karlheinz Zuerl. Er weiß: „Genau daran scheitern viele Unternehmen, weil sie in der Firmenzentrale im Westen zu spät erkennen, was in der Ferne tatsächlich passiert.“ Das Berichtswesen aus China verschleiert in vielen Fällen die wahre Situation über Monate und gelegentlich sogar Jahre hinweg, hat der GTEC-Chef im Rahmen von Beratungsprojekten festgestellt, bei denen es darum ging, die Scherben zusammenzukehren und das betroffene Unternehmen wieder auf Wachstumskurs zu bringen.
„Die in Deutschland häufig anzutreffende Mentalität, den Finger in die Wunde zu legen und die Probleme anzupacken, ist in China wenig verbreitet“, erklärt Karlheinz Zuerl. Er führt aus: „Vielmehr ist es Teil der dortigen Kultur, Unschönes zu verstecken und die Situation rosig zu malen. Daher gilt es bei Berichten aus chinesischen Niederlassungen vor allem zwischen den Zeilen zu lesen, was in der Regel nur mit einem tiefgehenden Verständnis über die dortigen Gepflogenheiten gelingt.“
(GTEC vom 07.09.2023 / Viola C. Didier, RES JURA Redaktionsbüro)