Kaum bestellt, schon geliefert. Damit werben Online-Lieferdienste für Lebensmittel. Doch die Auswertung von öffentlich zugänglichen Unternehmensdaten zeigt: Das Geschäftsmodell „Quick-Commerce“ ist bislang wackelig. Das ergibt eine neue Studie des Instituts für Mitbestimmung und Unternehmensführung (I.M.U.) der Hans-Böckler-Stiftung. Wie sind die Perspektiven, auch aus Sicht der dort Arbeitenden, die oft keine guten Arbeitsbedingungen haben? Die Forschenden sehen darin Stoff für eine breite gesellschaftliche Debatte.
Die Forscher haben die wirtschaftliche Situation von fünf Lebensmittellieferdiensten anhand von Kennzahlen aus den Jahresabschlüssen über einen Zeitraum von sechs Jahren untersucht. Unter Berücksichtigung der Ertragslage, der Liquidität und der Finanzierung haben sie beleuchtet, ob die Geschäftsmodelle dauerhaft wirtschaftlich betrieben werden können. Zu den untersuchten Unternehmen zählen Just eat Takeaway, Delivery Hero, Hello Fresh, JD.com und Meituan Maicai. Andere Anbieter wie Getir oder Flink konnten nicht einbezogen werden. Diese Unternehmen veröffentlichten Finanzdaten nicht regelmäßig, da sie anders als börsennotierte Firmen nicht unter die Berichtspflichten des Kapitalmarkts fallen.
So funktioniert das Geschäftsmodell
Blitzlieferdienste gehören zur Branche des Quick-Commerce (oder: Q-Commerce) und sind Teil der sogenannten Plattformökonomie. Im Gegensatz zu konventionellen Lebensmittelhändlern verfügen die Schnelllieferdienste nicht über Verkaufsflächen, sondern über kleine Lager, die sie an strategisch günstigen Standorten in Ballungsräumen anmieten. Entsprechend klein ist das Warensortiment, insbesondere im Vergleich zum stationären Lebensmittelhandel. Die Waren werden von sogenannten Ridern, die meist mit Fahrrad oder Motorroller unterwegs sind, bis an die Haustür geliefert.
Risikokapital finanzierte das Wachstum
Die Branche ist zwar in den letzten Jahren stark gewachsen. Dieses Wachstum sei jedoch zu einem erheblichen Teil durch Risikokapitalgeber finanziert und nicht in Profite umgemünzt worden, so die Forscher. Insofern sei davon auszugehen, dass ein Großteil der Unternehmen ihre Dienstleistungen unterhalb des Deckungsbeitrags anbietet, was dauerhaft zu einem ruinösen Wettbewerb führt. Die I.M.U.-Analyse zeigt, dass die Lieferdienste bei keiner der untersuchten Rentabilitätskennziffern mit einer Vergleichsgruppe etablierter und börsennotierter Unternehmen aus dem Bereich Handel, Konsum und Nahrungsmittel mithalten können. Lediglich in den Corona-Jahren hat sich ihr Rückstand – zum Beispiel beim Gewinn vor Steuern und Zinsen – vorübergehend verringert, danach sind sie aber wieder deutlich hinter die Vergleichsgruppe zurückgefallen. Diese Entwicklung deute auf einen Corona-bedingten „Strohfeuereffekt“ hin. Das hätten auch die Kapitalgeber erkannt. Sie seien seit 2022 bei der Bereitstellung von Risikokapital zurückhaltender geworden, was den Druck auf die Branche, die Profitabilität zu steigern, weiter erhöhe.
Beispiel Delivery Hero
Ein Beispiel für die Entwicklung von 2017 bis 2022 ist das Unternehmen Delivery Hero mit Sitz in Berlin. Die anfänglich geringen Umsätze bei gleichzeitigen Verlusten sind für ein Start-up zunächst zu erwarten. Insbesondere in der Zeit der Corona-Pandemie stiegen die Umsätze des Lieferdienstes rasant an, was jedoch bis Ende 2022 nicht zu einer Verringerung der Verluste führte. Im Gegenteil: Mit steigendem Umsatz wuchsen auch die roten Zahlen. Erst im ersten Halbjahr 2023 reduzierte sich der Verlust deutlich – allerdings lag das Minus immer noch bei 832 Millionen Euro. Ein typisches Phänomen schnell wachsender Unternehmen, bei denen zunächst nur der Umsatz zählt, während Gewinnmargen und Kosten weniger Beachtung finden. Es sei davon auszugehen, dass bei Unternehmen wie Gorillas, Flink, Delivery Hero und anderen der durchschnittliche Warenkorbwert pro Bestellung zwischen 15 und 25 Euro liegt, heißt es in der Studie. Ein positiver Deckungsbeitrag sei nach Einschätzung von Fachleuten jedoch erst ab etwa 30 Euro möglich. Bisher sei es keinem Anbieter gelungen, mit dem operativen Geschäft Gewinne zu erwirtschaften.
Fazit: Nur wenige werden überleben
Eine Konsolidierung des Marktes scheint unausweichlich und ist bereits im Gange. So wurde der deutsche Branchenprimus Gorillas nur rund zwei Jahre nach seiner Gründung bereits vom türkischen Wettbewerber Getir übernommen. Zeitweise stand im Raum, dass Getir auch Flink übernehmen könnte. Statt dessen baute das Handelsunternehmen Rewe seine Beteiligung an Flink aus. Mittlerweile schrumpfe die Deutschlandpräsenz Getirs massiv. Es sei zu erwarten, dass nur wenige der heutigen Anbieter überleben werden, so die Forscher. Der Markt werde sich voraussichtlich auf ein bis zwei große Unternehmen und einige Nischenanbieter konzentrieren. Zudem sei ein weiterer Trend zu beobachten: Anbieter wie Knuspr und Picnic investierten massiv in Automatisierung, um mittelfristig die Kosten zu senken. In Zukunft könnten Bestellungen vollautomatisch zusammengestellt und zu den Lieferfahrzeugen gebracht werden.
(Hans-Böckler-Stiftung vom 31.10.2023 / Viola C. Didier, RES JURA Redaktionsbüro)