Der vom Bundeskabinett beschlossene Jahreswirtschaftsbericht 2024 trägt den Titel „Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig stärken“. Dieses Ziel ist laut dem Bundesverband deutscher Banken (BdB) uneingeschränkt zu begrüßen, allerdings sollte es sich auf die Wettbewerbsfähigkeit der gesamten deutschen Wirtschaft beziehen und damit auch die Banken einschließen.
Regulierung nach der Finanzkrise
Wie aber ist es um die deutsche und auch europäische Bankenlandschaft gegenwärtig bestellt? Mit der Finalisierung beziehungsweise der europäischen Implementierung von Basel III wird gegenwärtig der Schlusspunkt unter zahlreiche regulatorische Initiativen gesetzt, die nach der Finanzmarktkrise 2008 angestoßen und umgesetzt wurden. Und in Summe zeigen all diese Maßnahmen Wirkung: Während der Turbulenzen rund um das US-amerikanische Bankensystem im Frühjahr 2023 haben sich die europäischen Banken in einer kritischen Lage als überaus stabil und das Regulierungssystem als wirksam erwiesen. Damit ist offenkundig, dass die Anstrengungen von Banken und Regelsetzern nach der Finanzkrise zu einem deutlichen Zugewinn an Stabilität und Sicherheit im europäischen Finanzwesen geführt haben.
Die Frage ist jedoch: Was bedeutet dies für die Handlungs- und Wettbewerbsfähigkeit der Banken? Reichen Stabilität und Sicherheit im europäischen Finanzwesen allein schon aus? Kann damit der Umbau der Wirtschaft in Richtung Klimaneutralität, digitaler Zukunft und größerer Widerstandsfähigkeit gemeistert werden? Und schließlich: Ist der regulatorische Rahmen für die europäischen Banken so ausgestaltet, dass Banken effizient reguliert und gleichzeitig wettbewerbsfähig sein können?
Viele Behörden und immer neue Verordnungen
Um diese Fragen zu beantworten, muss der Blick noch einmal auf die letzten 15 Jahre Regulierung gerichtet werden. Denn bei allen positiven Wirkungen ist in diesem Zeitraum ein Regulierungssystem für Banken entstanden, das in seiner Komplexität kaum zu übertreffen ist, was sogar die Aufsicht bestätigt. Und diese Komplexität ergibt sich nicht nur aus dem Wirken zahlreicher nationaler und europäischer Institutionen in Europa, die sich mit der Regulierung und Beaufsichtigung von Banken befassen. Es geht auch um die schiere Masse an Regulierungstext und die stetige Erweiterung von Gesetzen, Verordnungen und technische Standards, beispielsweise durch immer neue Leitlinien. Herausgekommen ist ein zum Teil unüberschaubares Geflecht aus Detailregeln, das den Banken keine klaren Steuerungsimpulse mehr gibt.
Dies stellt für die Aufseher – aber auch für Investoren – ein Problem dar, denn die Regeln greifen nicht wie in einem Uhrwerk reibungslos ineinander. Im Gegenteil: Dieses Uhrwerk schleift, es hakt, und es setzt zum Teil sogar aus, denn bei der praktischen Umsetzung der zahlreichen regulativen Vorgaben stoßen alle Beteiligten auf widersprüchliche und redundante Regeln. Zum Teil kommt es zu Doppelzählungen von Risiken bei der Kapitalunterlegung. Eine trennscharfe Abgrenzung des verfolgten Zwecks einzelner Vorgaben wäre wünschenswert, gelingt allerdings nur theoretisch. Bei der Anwendung der Vorgaben zeigt sich deutlich, dass die Theorie eben Theorie ist und in der Praxis die Abgrenzungsprobleme bestehen bleiben.
Erschwerend wirkt sich aus, dass viele der Vorgaben nach der Finanzkrise auf der grünen Wiese erarbeitet wurden. Der Beitrag des bereits implementierten Regelwerkes zur Finanzstabilität, also das Ausmaß der bereits erreichten Finanzstabilität, blieb bei der konkreten Ausarbeitung der Vorgaben in der Regel außen vor. Klassische Kosten-/Nutzenabwägungen werden auch heute nur unzureichend angestellt. Die Tendenz, jeden kleinsten Vorgang in einer Bank zu regulieren, hat ein Ausmaß angenommen, das es schwer macht, den Überblick zu behalten. Das regulatorische Rahmenwerk stellt somit einen zunehmend einflussreichen Wettbewerbsfaktor dar, aber leider in einem negativen Sinn.
Niedrige Marktbewertungen
Die Defizite der aktuellen Regulierung tragen auch zu den seit der Finanzkrise niedrigen Marktbewertungen von europäischen Banken bei, die hinter denen vieler internationaler Konkurrenten zurückliegen. So war im Jahr 2023 die Marktkapitalisierung der größten amerikanischen Bank (J.P. Morgan) mit 417 Mrd. USD fast höher als die der zehn größten Banken der Eurozone zusammen (449 Mrd. USD).
Eine niedrige Marktbewertung von Banken aber kann zu zwei praktischen Problemen führen:
- Erstens ist es für ausländische Investoren relativ günstig, europäische Banken zu übernehmen. Eine solche Übernahme hätte zur Folge, dass die Finanzierung der europäischen Wirtschaft von den Entscheidungen außereuropäischer Akteure abhängt.
- Zweitens ist es in einem solchen Umfeld sehr schwierig, zusätzliches Kapital an den Märkten zu beschaffen. Langfristig könnten sich die niedrigen Bewertungen nach Ansicht der EZB daher negativ auf die Finanzstabilität auswirken.
Wettbewerbsfähigkeit stärker berücksichtigen
Was ist also zu tun? Zwei Dinge sind wichtig. Zum einen muss in den Grundsätzen für die Bankenregulierung neben dem zentralen Kriterium der Finanzstabilität ein zweites Kriterium verankert werden: die Wettbewerbsfähigkeit. Zum anderen bedarf es einer Überprüfung des regulatorischen Rahmenwerks mit Blick auf die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Banken. Europas Institute benötigen eine konsistente, effiziente und handhabbare Regulierung, die international anschlussfähig ist. Wettbewerbsverzerrungen, entstanden durch Doppelerhebungen, Widersprüchlichkeiten, Redundanzen und einen zu hohen Detaillierungsgrad, müssen reduziert werden.
Zu begrüßen ist, dass offenkundig auch die europäische Politik den Handlungsbedarf erkannt hat und die Wettbewerbsfähigkeit Europas ins Zentrum der nächsten Legislaturperiode stellen will. In diesem Zusammenhang erachten wir es für enorm wichtig, dass sich die Europäische Kommission im Rahmen ihres Arbeitsprogramms ab 2024 der Aufgabe annimmt, das aufsichtsrechtliche Rahmenwerk ganzheitlich auf die genannten Unzulänglichkeiten hin zu überprüfen – und das möglichst zeitnah.
(BdB vom 03.05.2024 / RES JURA Redaktionsbüro)