Die Bestrebungen, die europäische Bankenunion zu verwirklichen, ziehen sich dahin. Dabei zeichnet sich der Weg dorthin zunehmend deutlich ab: über Fusionen kleinerer und mittlerer Institute muss sich der Bankensektor konsolidieren. Eine etwas erstaunliche Formel dabei lautet: je sperriger der Bankenname, desto höher einzuschätzen sind die Skaleneffekte – insbesondere mit Blick auf die IT-Systeme. Finanzaufsichtsrechtsexperte Dr. Tobias Bauerfeind von Ashurst erklärt, wo die Fallstricke lauern.
CF: Herr Dr. Bauerfeind, was sind die Hauptziele der europäischen Bankenunion?
Dr. Bauerfeind: Die Idee der Bankenunion entstand aus den Nachwehen der letzten Finanzkrise von 2007/2008. Die Krise legte offen, dass das nationale Recht sowie Befugnisse lokaler Aufsichtsbehörden regelmäßig an den eigenen Ländergrenzen enden, das Bankgeschäft dagegen grenzüberschreitend miteinander vernetzt ist und insoweit einer einheitlichen Bankenaufsicht und -abwicklung bedarf. Und genau hier setzt die Bankenunion an.
Sie besteht aus drei Säulen: Erstens dem Einheitlichen Aufsichtsmechanismus (SSM), d.h. der direkten Aufsicht über große und systemrelevante Banken in der Eurozone durch die EZB, dazu spiegelbildlich zweitens dem Einheitlichen Abwicklungsmechanismus (SRM), d.h. einem zentralisierten Bankeninsolvenzrecht, um im Bedarfsfall die nationalen Insolvenzordnungen zu vermeiden, und schließlich – ergänzend – drittens einem Europäischen Einlagensicherungsmechanismus (EDIS), d.h. einem gemeinsamen, zentralisierten europäischen Einlagensicherungssystem. Während die erste und zweite Säule bereits umgesetzt sind, wird um die dritte aktuell noch gerungen.
Die drei Säulen sollen zusammen zu einer Stärkung der Finanzstabilität führen, für einen besseren Schutz der Steuerzahler sorgen (Vermeidung von „Bail-outs“), eine einheitliche Regulierung und damit faire Wettbewerbsbedingungen (sog. „Level Playing Field“) sicherstellen, um so das Vertrauen in das Bankensystem insgesamt zu fördern.
CF: Was sind die wichtigsten Vorteile der Bankenunion für die Mitgliedstaaten?
Dr. Bauerfeind: Die Vorteile für die teilnehmenden Mitgliedstaaten sind vielfältig und leiten sich unmittelbar aus den vorgenannten Zielen ab. So verringert eine erhöhte Finanzstabilität das Risiko zukünftiger Bankenkrisen und -pleiten und damit (real-)wirtschaftlicher Schocks und Schäden. Das Bankeninsolvenzrecht sorgt dafür, dass die Kosten einer Abwicklung primär von den Banken und ihren Gläubigern und nicht von den Steuerzahlern getragen werden (Bail-in statt Bail-out). Eine einheitliche Regulierung schafft gleiche Wettbewerbsbedingungen und verhindert regulatorische Arbitrage zwischen einzelnen EU-Mitgliedstaaten. Eine starke Regulierung und Überwachung des europäischen Bankensystems inklusive zentralisierter Einlagensicherung wirken vertrauensstiftend und fördern die finanzielle Stabilität und das Wachstum in der gesamten Eurozone. Ein gemeinsamer, harmonisierter Binnenmarkt, mitsamt seinen Grundfreiheiten wie der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit, erleichtert grenzüberschreitende Bankgeschäfte und Finanzdienstleistungen, stärkt den Verbraucherschutz und beflügelt Investitionen und wirtschaftliches Wachstum. Zuletzt vermag die Bankenunion die Fragmentierung des europäischen Bankensektors zu verringern, gerade grenzüberschreitende Fusionen und Übernahmen werden durch ein harmonisiertes Regelwerk vereinfacht.
CF: Welche Rolle spielt dabei die Europäische Zentralbank (EZB)?
Dr. Bauerfeind: Eigentlich ist die EZB die Zentralbank der Zentralbanken der Eurozone. In dieser Rolle ist es ihre wichtigste Aufgabe, Preisstabilität zu gewährleisten (ähnlich der Fed in den USA).
Seit nunmehr zehn Jahren ist die EZB als Kernstück des Einheitlichen Aufsichtsmechanismus (SSM) daneben aber auch die oberste Bankenaufseherin in der Eurozone. Die EZB überwacht die jeweils größten (heißt systemrelevanten) Banken in der Eurozone, deren Bilanzsumme (nebst weiteren Kriterien) mehr als 30 Milliarden Euro ausmacht.
Die Rolle der Bankenaufseherin übt sie allerdings nicht allein aus, sondern gemeinsam mit den nationalen Aufsichtsbehörden (NCAs), in Deutschland BaFin und Bundesbank, in sog. „Joint Supervisory Teams“ (JSTs). Für jede erfasste Großbank wird je ein JST gebildet, um ein optimales Aufsichtsumfeld zu schaffen und Ressourcen wie Knowhow zu bündeln. Auf diese Weise der Zusammenarbeit ging das jahrzehntelang aufgebaute Wissen der NCAs nicht verloren, als die EU die direkte Bankenaufsicht der EZB übertrug.
CF: Welche Herausforderungen bestehen bei der Implementierung der Bankenunion?
Dr. Bauerfeind: Die größten Hürden sind bereits überwunden. Unter dem damaligen, noch präsenten Eindruck der zurückliegenden Finanzkrise ließen sich die ersten beiden Säulen ohne größere Widerstände realisieren. Den meisten beteiligten Parteien war klar, dass sich so etwas wie 2007/2008 nicht wiederholen darf.
Die dritte, weitestgehend noch ausstehende Säule ist allerdings hart umkämpft. Zwar gibt es bereits seit 2014 die Einlagensicherungsrichtlinie in der EU, die in den einzelnen Mitgliedstaaten in nationales Recht umgesetzt wurde. Die Zentralisierung der Einlagensicherung durch das Europäische Einlagensicherungssystem (EDIS) ist allerdings nach wie vor ein großer Streitpunkt zwischen den Mitgliedstaaten. Insbesondere aus Deutschland kommt diesbezüglich Kritik, weil die Sparkassen und Genossenschaftsbanken nicht teilnehmen wollen, da sie ihre eigenen Institutssicherungssysteme gefährdet und zusätzliche Kosten sehen. Hier bedarf es also weiterer (politischer) Überzeugungsarbeit, um die Bankenunion abzuschließen.
CF: Wie unterschiedlich sind die rechtlichen Bedingungen innerhalb der EU insgesamt?
Dr. Bauerfeind: Im materiellen Bankaufsichts- und -insolvenzrecht gibt es kaum mehr Unterschiede innerhalb der EU. Wir befinden uns in einem Zustand fast vollständiger Harmonisierung. Auch wenn das Aufsichtsrecht bereits seit Jahrzehnten europäisiert ist, bestand das EU-Recht „früher“ doch häufig (nur) aus Richtlinienrecht. Richtlinien gelten nicht unmittelbar, sondern müssen von den Mitgliedstaaten in nationales Recht übertragen werden. Häufig räumt eine Richtlinie dem nationalen Gesetzgeber Optionen und Umsetzungsspielräume ein. Das hat zur Folge, dass das Recht zwar ähnlich, aber doch nicht immer einheitlich ist. Seit einigen Jahren ist zu beobachten, dass die EU mehr und mehr per Verordnung reguliert. Eine Verordnung gilt unmittelbar und bedarf keines gesonderten Umsetzungsakts. Aufsichtsrecht ist also durch und durch Europarecht!
CF: Welche Auswirkungen hat die Bankenunion auf kleine und mittelständische Banken?
Dr. Bauerfeind: Erst einmal gilt: Gleiche Regeln für alle. Das heißt, auch kleine und mittlere Banken unterliegen dem europäischen Aufsichtsregime. Allerdings werden diese weder direkt von der EZB beaufsichtigt, noch zentralisiert abgewickelt. Daneben können kleine und mittlere Institute das sog. „Proportionalitätsprinzip“ für sich beanspruchen, d.h. die Regeln sind auf eine Art und Weise anzuwenden, die der Natur, dem Umfang und der Komplexität der Risiken angemessen ist, die mit der jeweiligen Geschäftstätigkeit einhergehen. Ein schwach ausgeprägtes Risikoprofil kann also zu Umsetzungserleichterungen führen.
CF: Wie werden Bankensanierungen innerhalb der Bankenunion durchgeführt?
Dr. Bauerfeind: Die Antwort ist dreigeteilt bzw. dreifach abgestuft. Auf der obersten Ebene gibt es den SRM als Verordnung, das zentralisierte, europäische Bankeninsolvenzrecht für all jene Großbanken, die dem SSM unterliegen. Auf der zweiten Ebene gibt es ein europäisches Bankeninsolvenzrecht, das als Richtlinie (BRRD) in jeweils nationales Recht (SAG) umgesetzt wurde und grundsätzlich die Mehrheit der Banken erfasst. Auf der letzten Ebene verbleiben die nationalen Insolvenzordnungen. Hierbei handelt es sich um eines der komplexesten (Teil-)Rechtsgebiete des nicht gerade unterkomplexen Aufsichtsrechts. Oberste Ziele sind jedenfalls die Vermeidung von Risiken für die Finanzmarktstabilität und die Verwendung von Steuergeldern.
CF: IT ist für Banken herausfordernd, das zeigten zuletzt die Probleme der Postbank, die durch die BaFin gerügt wurden. An welcher Stelle sind die Anforderungen an die IT-Systeme reguliert?
Dr. Bauerfeind: Bis vor Kurzem waren aufsichtsrechtliche IT-Anforderungen nur rudimentär und rein national vorhanden, wenn überhaupt. Deutschland bzw. die BaFin waren hier sicherlich Vorreiter mit ihren sog. Rundschreiben aufsichtlicher Anforderungen an die IT (z.B. das BAIT für Kreditinstitute). Hierbei handelte es sich aber nicht um Gesetze, sondern um bloße Verwaltungspraxis.
Das allerdings änderte sich mit dem sog. „Digital Operational Resilience Act“ (DORA), einer EU-Verordnung, die bereits Anfang 2023 in Kraft trat und ab Januar 2025 EU-weit Anwendung finden wird. DORA zielt darauf ab, die regulatorischen Anforderungen an die IT-Sicherheit von sämtlichen Finanzunternehmen sowie großen IKT-Drittdienstleistern zu harmonisieren und die operative Widerstandsfähigkeit des europäischen Finanzsektors insgesamt zu erhöhen.
CF: Sind die Regulierungen klar oder müsste nachgeschärft werden – und wenn ja, an welcher Stelle?
Dr. Bauerfeind: Das Aufsichtsrecht dürfte das Steuerrecht mittlerweile deutlich in Sachen Komplexität, Regelungsdichte und Geschwindigkeit überholt haben. Gesetzgebungsorgane auf EU- und nationalem Level, diverse Aufsichtsbehörden und „Policymaker“ auf internationaler, europäischer und nationaler Ebene – hier von „Klarheit“ zu sprechen verbietet allein schon das Regulierungsdickicht.
Seit der Finanzkrise wurde unglaublich viel reguliert, nicht immer mit klarer oder einheitlicher Stoßrichtung und handwerklich gut (ESG ist z.B. so ein Thema…). Zehn Jahre nach Beginn der Bankenunion gäbe es sicherlich Raum für Verbesserungen, insbesondere für Bürokratieabbau.
Ungeachtet dessen hat die Regulierung des vergangenen Jahrzehnts einen deutlich robusteren Bankensektor hervorgebracht, als das noch vor der Finanzkrise der Fall war. Im nächsten Jahrzehnt wird es nun vor allem darum gehen müssen, eine verträgliche Balance zu finden, auch um die eigene Wettbewerbsfähigkeit mit den USA zu erhalten.
CF: Vielen Dank für das Interview!
Das Interview führte Viola C. Didier, RES JURA Redaktionsbüro