Die weltweiten Handelsströme verändern sich grundlegend – mit erheblichen Auswirkungen auf die wirtschaftlichen Beziehungen der Europäischen Union. Der globale Austausch von Waren und Dienstleistungen aus den und in die EU-Länder wird zwar in den kommenden zehn Jahren um etwa zwei Prozent pro Jahr weiterwachsen. Aber die Schwerpunkte ändern sich deutlich: Traditionelle Geschäftsbeziehungen verlieren dramatisch an Bedeutung, neue Partnerschaften etablieren sich – all dies geschieht mit einer hohen Dynamik.
Das sind zentrale Ergebnisse des aktuellen Global Trade Reports „Great Powers, Geopolitics, and the Future of Trade“, in dem die Strategieberatung Boston Consulting Group die Entwicklung des weltweiten Handels prognostiziert. Das Modell basiert auf 500 Millionen Datenpunkten, die eine breite Palette makroökonomischer Indikatoren messen, und umfasst mehr als 150 Exportländer in 14 Schlüsselregionen.
Mehr Sanktionen gegen Russland
Zentrale Treiber dieser Entwicklung sind protektionistische Tendenzen, geopolitische Spannungen und daraus resultierende Herausforderungen für die Energieversorgung oder die digitale Souveränität. So wird der Handel der EU mit Russland nach der Prognose von BCG bis 2033 voraussichtlich um etwa 106 Milliarden US-Dollar (minus 17 %) zurückgehen. Die EU wird aufgrund des Angriffskrieges in der Ukraine die Energieimporte aus Russland weiter reduzieren und mit hoher Wahrscheinlichkeit zusätzliche wirtschaftliche Sanktionen verhängen.
US-Zölle belasten die deutsche Automobilindustrie
Um rund 300 Milliarden US-Dollar wird dagegen der Handel mit den USA in den kommenden zehn Jahren zunehmen. Dies ist jedoch vor allem auf die massive Einfuhr von US-amerikanischem Flüssigerdgas in die EU zurückzuführen. Eine deutliche Belastung für den EU-Handel bedeuten die von den USA angekündigten Zölle von 20 % auf Einfuhren unter anderem aus der EU – für Waren aus China sollen 60 % Zoll fällig werden, für Waren aus Kanada und Mexiko 25 %. Das würde vor allem die deutsche Automobilindustrie hart treffen, die große Produktionskapazitäten in Mexiko und China vorhält.
Schwellen- und Entwicklungsländer gewinnen für die EU an Bedeutung
Der Handel der EU und der USA mit China wird sich deutlich verlangsamen. BCG prognostiziert bis 2033 einen Rückgang um rund 220 Milliarden US-Dollar, das entspricht einem Minus von 1,2 % pro Jahr. In der Folge könnte sich Afrika – insbesondere Nordafrika – für die EU zu einem wichtigen Standort für Nearshoring-Lieferketten im verarbeitenden Gewerbe und zu einem Lieferanten für Energie und Rohstoffe entwickeln. Auch das Freihandelsabkommen der EU mit den Mercosur-Staaten würde einen großen Markt eröffnen. „Engere Beziehungen zu Schwellen- und Entwicklungsländern werden zunehmend wichtiger. Die EU kann sich nicht mehr auf bestehende Handelsbeziehungen verlassen. Die Mitgliedsstaaten müssen ihre traditionellen ökonomischen Verbindungen überdenken“, sagt Judith Wallenstein, Senior Partnerin bei BCG und globale Leiterin der CEO-Beratung.
China orientiert sich weg vom Westen
China wird stattdessen die wirtschaftlichen Beziehungen zum globalen Süden verstärken. Nach den Berechnungen von BCG wird Chinas Handel mit den Schwellen- und Entwicklungsländern bis 2033 um 1,25 Billionen Dollar (um 5,9 %) ansteigen. „Auch China hat Interesse, seine wirtschaftliche Abhängigkeit vom Westen zu verringern und gleichzeitig die Beziehungen zu wichtigen Schwellenländern zu vertiefen“, sagt Nikolaus Lang, der den Vorsitz des BCG „Center for Geopolitics“ und des „BCG Henderson Institute” bekleidet.
Indien als Alternative zu China
Der EU-Handel mit Indien wird jährlich um 6 % wachsen, angeführt von den Bereichen Informationstechnologie, Pharmazeutika und der verarbeitenden Industrie. So wird sich der Subkontinent in den nächsten Jahren neben China zu einer weiteren großen Handelsnation entwickeln. Das Land unterhält gute wirtschaftliche Beziehungen zu den meisten großen Volkswirtschaften. BCG prognostiziert einen Anstieg des indischen Handelsvolumens um 6,4 % bis 2033 auf 1,8 Billionen US-Dollar jährlich. Zu den treibenden Kräften gehören Indiens wachsende Beliebtheit als Produktionsstandort für Unternehmen, die ihre in China konzentrierten Lieferketten diversifizieren wollen, hohe staatliche Subventionen für die Fertigung, eine große Zahl kostengünstiger Arbeitskräfte und eine sich rasch verbessernde Infrastruktur.
(BCG vom 13.01.2025 / RES JURA Redaktionsbüro – vcd)