Deutschlands Regionalbanken stehen an einem Wendepunkt: Sinkende Zinserträge, wachsender Wettbewerb und steigende Kosten zwingen sie zum strategischen Umdenken, zeigt eine neue Studie. Prof. Dr. Oliver Roll und Dr. Johann Thieme erklären im Interview, welche Institute jetzt durch klare Fokussierung, Digitalisierung und gezielte Investitionen in Vertrieb und Pricing punkten und welche Gefahr laufen, den Anschluss zu verlieren.
CF: Herr Prof. Roll, Herr Dr. Thieme, Sie sprechen in Ihrer Studie „Ertragslage deutscher Regionalbanken“ von der „umfassendsten Analyse“ der Situation. Was war das überraschendste oder unerwartetste Ergebnis für Sie persönlich?
JT: Mich hat die Deutlichkeit überrascht, mit der sich Investitionen in Personal und Infrastruktur auszahlen – auch in einer Branche, die oft vom Effizienzdenken geprägt ist. Viele Top-Performer haben überdurchschnittliche Verwaltungsaufwände, erzielen aber auch signifikant höhere Erträge. Das zeigt: Es geht nicht um Kosten runter um jeden Preis, sondern um die gezielte Allokation auf ertragswirksame Bereiche.
OR: Mich hat zudem überrascht, dass Zins- und Provisionsergebnis so stark positiv korreliert sind. Natürlich ist Korrelation allein noch keine Ursächlichkeit, allerdings spricht vieles dafür, dass es hier starke vertriebliche Synergien gibt. Wer also in einem der Bereiche vorn ist, performt häufig auch im anderen Bereich sehr gut.
CF: Die Studie zeigt, dass größere Institute pro Bilanzsummen-Euro deutlich profitabler sind. Droht damit kleineren Regionalbanken langfristig das Aus, wenn sie sich nicht zusammenschließen?
OR: Nicht zwingend, aber sie müssen sich gezielt ausrichten. Größenvorteile lassen sich teilweise auch durch Kooperationen, Shared Services oder Fokusstrategien simulieren. Wer als kleines Institut keinen klaren strategischen Kurs fährt und in Pricing, Produktarchitektur und Digitalisierung zu zögerlich bleibt, läuft allerdings Gefahr, über kurz oder lang den Anschluss zu verlieren. Wir kennen viele kleine und mittlere Institute, die sehr agil und experimentierfreudig sind und Innovationen im Pricing und bei neuen Angeboten häufig deutlich schneller umsetzen als die großen Player. Hier kann es also auch Vorteile haben, nicht zu den Größten zu gehören.
CF: Sie empfehlen, stärker ins Provisionsgeschäft zu investieren. Wo sehen Sie hier die größten ungenutzten Potenziale? Eher im Zahlungsverkehr, in der Vermögensberatung oder im Versicherungsgeschäft?
JT: Der größte Hebel ist nach wie vor der Zahlungsverkehr, da dieser häufig 50 Prozent und mehr des Provisionsergebnisses ausmacht. Regionalbanken müssen jedoch aufpassen, den Bogen nicht zu überspannen, denn in den letzten Jahren wurden flächendeckend Kontopreise erhöht. Seit sich mit Einlagen wieder gutes Geld verdienen lässt, sehen wir teilweise wieder Gehaltseingangs- oder Durchschnittsguthabenbedingungen am Markt, um den Kontopreis zu reduzieren. Auch Loyalitätsprogramme sind mittlerweile verbreitet, um eine höhere Produktnutzung und damit höhere Provisionsergebnisse zu forcieren.
Weitere Potenziale liegen im Cross-Selling von Versicherungen, Bausparverträgen und anderen Verbundprodukten – häufig im Zusammenhang mit einer Baufinanzierung als wichtigem Produktanker. Schauen wir uns den Firmenkundenbereich an, so sehen wir auch dort häufig ungenutzte Potenziale, weil das Thema Provisionen wegen der hohen Bedeutung des Zinsgeschäfts vom Vertrieb häufig stiefmütterlich behandelt wird.
CF: Aktivlastige Institute schneiden beim Zinsergebnis gut ab, haben aber schwächere Provisionskennzahlen. Welche Strategie empfehlen Sie diesen Häusern, um nicht einseitig aufgestellt zu sein?
OR: Aktivlastige Institute müssen darauf achten, sich nicht zu einseitig auf das Kreditgeschäft zu verlassen. Wer ohnehin über hohe Kundennähe verfügt, sollte diese für ein gezieltes Cross-Selling nutzen, etwa durch modulare Kontoangebote, attraktive Wertpapierpakete oder Vertriebsanreize im Versicherungsgeschäft. Die Kunst liegt darin, sich ertragsseitig breit aufzustellen, ohne operative Komplexität ausufern zu lassen. Die nächste Niedrigzinsphase kommt bestimmt – mit dann wieder sinken Zinsmargen. Da das Provisionsergebnis deutlich weniger volatil ist als das Zinsergebnis, empfehlen wir, beide Säulen weiter auszubauen.
CF: Viele Regionalbanken schrecken noch vor höheren Investitionen in IT oder Digitalisierung zurück. Welche Art von Digitalisierung wirkt sich laut Ihrer Studie am schnellsten positiv auf die Erträge aus?
JT: Dort, wo Digitalisierung direkt in Pricing, Vertrieb oder Prozesskosten wirkt. Besonders effektiv: automatisierte Konditionslogik im Einlagen- und Kreditbereich, Self-Service-Prozesse mit Preiswirkung (z.B. Online-Tarife) und digitale Cross-Selling-Logiken im Kundenportal. Nicht alles muss „Big Tech“ sein, aber die richtigen Hebel müssen gesetzt werden.
CF: Sie weisen darauf hin, dass sich höherer Verwaltungsaufwand in vielen Fällen „mehr als bezahlt macht“. Wie erklären Sie das gegenüber dem klassischen Effizienzdenken im Bankensektor?
OR: Weil es auf die Qualität des Aufwands ankommt. Höhere Kosten für moderne Systeme, qualifizierte Spezialisten oder differenzierte Produktmodelle führen zu gezielterem Pricing, höherer Abschlussqualität und damit besseren Margen. Der pauschale Fokus auf Kosten greift oft zu kurz. Entscheidend ist die Rendite auf den Aufwand, nicht der Aufwand an sich.
CF: Die zweite Zinswende seit 2024 drückt auf die Erträge. Wie können Regionalbanken sich darauf vorbereiten, dass das Zinsumfeld künftig dauerhaft niedriger bleibt?
JT: Erstens: Das Kreditneugeschäft ankurbeln. Je schneller die günstigen Finanzierungen in den Büchern mit einer null oder eins vor dem Komma gegen solche mit deutlich höheren Zinssätzen getauscht werden, umso stärker steigt die Aktivmarge. Zweitens: Zinsmargen durch Re-Pricing bei variablen Zinssätzen sichern, auch auf der Passivseite. Drittens: Zusätzliche Ertragsquellen im Provisionsergebnis systematisch erschließen – wir hatten ja oben bereits darüber gesprochen. Kurz gesagt: Weniger Abhängigkeit vom Leitzins, mehr Fokus auf Konditionen, Kunden und Produktmix.
CF: Was machen die Top-Performer anders als der Durchschnitt? Gibt es ein Erfolgsrezept, das sich unabhängig von Größe oder Region übertragen lässt?
OR: Sie steuern aktiver, haben klarere Prioritäten und eine höhere Umsetzungsdisziplin. Ob groß oder klein – entscheidend ist, wie gezielt Ressourcen in margenstarke Produkte, differenziertes Pricing und Vertriebsqualität investiert werden. Viele Institute arbeiten noch zu stark mit der Gießkanne. Top-Performer setzen ihre PS dort ein, wo es sich lohnt.
CF: Welche Rolle spielen regionale Unterschiede, etwa zwischen städtischen und ländlichen Instituten, in Bezug auf Ertragslage und strategische Optionen?
JT: Sie wirken sich auf das Ertragspotenzial aus, sind aber kein Schicksal. In städtischen Regionen sind Wertpapier- und Kreditvolumina meist höher, in ländlichen Regionen punkten Institute oft mit hoher Kundenbindung. Entscheidend ist, dass die Produktarchitektur und Preisstrategie zur jeweiligen Struktur passen – dann lassen sich in beiden Kontexten gute Ergebnisse erzielen.
CF: Wenn Sie Vorstand einer kleinen, passivlastigen Genossenschaftsbank wären: Welche drei Sofortmaßnahmen würden Sie morgen in die Wege leiten?
OR: Ich würde
- Konditionen im Zahlungsverkehr systematisch anpassen – mit Fokus auf Preislogik, Transparenz und Akzeptanz.
- Eine datenbasierte und damit fundierte Bepreisung der Einlagenbasis einführen – um die Marge bei hoher Passivlastigkeit zu sichern.
- Die Cross-Selling-Quote erhöhen – durch gezielte Kampagnen, Vertriebstrainings und Paketangebote.
Das alles muss nicht mit riesigen Budgets geschehen, aber mit klarem Fokus, Umsetzungskonsequenz und gutem internen Storytelling.
CF: Vielen Dank für das Interview!
Das Interview führte Viola C. Didier, RES JURA Redaktionsbüro
Die komplette Studie zur Ertragslage deutscher Regionalbanken finden Sie hier.
Interviewpartner
Prof. Dr. Oliver Roll, Managing Partner bei Prof. Roll & Pastuch
Oliver Roll ist Gründer und Managing Partner bei Prof. Roll & Pastuch, einer auf alle Topline-Themen spezialisierten Unternehmensberatung. Zudem ist er Professor für internationales Marketing und Preismanagement an der Hochschule Osnabrück.
Dr. Johann Thieme, Senior Director bei Prof. Roll & Pastuch
Johann Thieme ist Senior Director bei Prof. Roll & Pastuch und leitet dort den Bereich Financial Services. Er berät Banken und Sparkassen bei der Ertragssteigerung durch innovative Preis- und Produktmodelle in allen Bedarfsfeldern sowie der Optimierung des Vertriebs.