Trotz Kritik und Widerstand hat die EZB kürzlich offiziell ihr ehrgeiziges Renommee-Projekt gestartet: Bis November 2025 sollen alle Pläne für den digitalen Euro abgeschlossen sein. Der digitale Euro für alle ist das Ziel. In diesem Interview erläutert Meglena Grueva, Senior Managerin und Expertin für Kryptowährungen, Bankenaufsichtsrecht und Bankenregulierung bei der internationalen Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft Forvis Mazars, die Hintergründe und analysiert die Konsequenzen.
CF: Frau Grueva, was sind die wichtigsten Ziele der Europäischen Zentralbank (EZB) bei der Einführung des digitalen Euro?
Grueva: Der digitale Euro wird den Menschen Zugang zu Zentralbankgeld in digitaler Form bieten. Bislang stellen nur Banknoten einen direkten Anspruch ihres Besitzers gegenüber der EZB dar. Ein digitaler Euro wird dasselbe bieten: die Menschen, die ihn besitzen, werden einen direkten Anspruch gegenüber der EZB haben, aber eben in digitaler Form – als Ergänzung zum Bargeld. Bei allen anderen Geldern, die die Menschen heute in digitaler Form halten, z.B. Bankkonten, haben sie einen Anspruch gegenüber den Finanzinstituten – also den Banken, bei denen sie diese Gelder halten.
Ein weiterer Grund, den die EZB für die Ausgabe eines digitalen Euro anführt, ist der anhaltende rasche Digitalisierungsprozess im Finanzsystem und das Bestreben der Aufsichtsbehörde, sachdienliche Entwicklungen anzubieten und gleichzeitig Innovationen bei Finanzdienstleistungen zu fördern.
Und nicht zuletzt ist die EZB bestrebt, eine paneuropäische Zahlungslösung anzubieten, die im gesamten Euroraum unter europäischer Führung verfügbar ist. Die Europäische Union (EU) ist in hohem Maße von außereuropäischen Zahlungsanbietern wie Visa und MasterCard abhängig, was Bedenken hinsichtlich der wirtschaftlichen Souveränität aufkommen lässt. Daher ist eine europäische strategische Autonomie eine wichtige Triebkraft bei den Bemühungen um einen digitalen Euro.
Für fortgeschrittene Volkswirtschaften wie die Eurozone liegt die Motivation für einen digitalen Euro nicht in einem größeren Marktversagen begründet. Der Zweck ist vielmehr geopolitischer Natur, um die Kontrolle Europas über die Zahlungssysteme zu verbessern, was aufgrund der anhaltenden geopolitischen Veränderungen besonders wichtig wurde.
CF: Wie wird sich der digitale Euro Ihrer Meinung nach auf die derzeitige Bankenlandschaft auswirken?
Grueva: Die Banken haben Bedenken geäußert, dass die Einführung des digitalen Euro ihre traditionelle Rolle bei der Erleichterung von Transaktionen zwischen Kunden beeinträchtigen könnte. Der digitale Euro verdrängt die Banken jedoch nicht, sondern bietet neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit, da die Finanzinstitute bei der Verbreitung der digitalen Währung und der Verwaltung der digitalen Geldbörsen weiterhin eine entscheidende Rolle spielen werden. Um das Potenzial des digitalen Euro voll auszuschöpfen, ist die Zusammenarbeit zwischen Banken, der EZB und Zahlungsdienstleistern (Payment Service Providers, PSPs) unerlässlich, um innovative Anwendungsfälle wie Offline-Mikropayments und programmierbare Zahlungen zu identifizieren, die das Zahlungsökosystem verbessern können, ohne die bestehende Infrastruktur zu untergraben. Damit Banken in dieser sich entwickelnden Landschaft wettbewerbsfähig bleiben, müssen sie sich schnell anpassen, Zahlungsprozesse modernisieren und neue Dienstleistungsmöglichkeiten durch Partnerschaften mit Fintech-Unternehmen nutzen. Dieser Wandel könnte die Banken als wichtige Anbieter von digitalen Geldbörsen positionieren und neue Wachstumsmöglichkeiten im aufstrebenden Bereich der digitalen Währungen erschließen.
CF: Und welchen Einfluss erwarten Sie auf Kreditvergaben?
Grueva: Der digitale Euro wird zwar von Banken und Zahlungsdienstleistern vertrieben, erscheint aber nur in der Bilanz des Eurosystems, wodurch sich die Einlagen der Geschäftsbanken zunächst verringern könnten. Diese Verschiebung könnte die Liquidität und die Kreditvergabefähigkeit der Banken in Frage stellen und sie dazu zwingen, höhere Zinssätze anzubieten, um die Einlagen zu halten. Die Banken könnten auch einen Rückgang der Zinserträge erleben, da weniger Zentralbankeinlagen vorhanden sind und das Volumen der Einlagensicherungssysteme abnimmt. Dies wird sie dazu zwingen, sich zu höheren Kosten am Großkundenmarkt zu refinanzieren, was zu höheren Kreditzinsen oder zu einer Verringerung der gesamten Kreditvergabekapazität führen kann. Um die Störungen abzumildern, planen die Regulierungsbehörden, digitale Euro-Guthaben zu begrenzen und keine Zinsen darauf anzubieten, um die Nutzer zu ermutigen, traditionelle Bankkonten beizubehalten. Das Potenzial der Disintermediation von Banken bleibt jedoch ein Problem, und die politischen Entscheidungsträger sind sich bewusst, dass sie ein Gleichgewicht zwischen dem Angebot eines digitalen Euro und der Aufrechterhaltung der Stabilität des Finanzsystems finden müssen.
CF: Was sind die größten Herausforderungen bei der Umsetzung des Projekts digitaler Euro?
Grueva: Eine der größten Herausforderungen bei der Einführung des digitalen Euro besteht darin, die europäischen Bürger davon zu überzeugen, ihn neben oder anstelle der bestehenden privaten digitalen Zahlungslösungen, die in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften bereits weit verbreitet sind, einzuführen. Da die derzeitigen digitalen Zahlungssysteme sehr effizient und weit verbreitet sind, wird es schwierig sein, den Einzelhandelsnutzern den Mehrwert eines digitalen Euro zu demonstrieren.
Darüber hinaus plant das Eurosystem den Aufbau eines kostspieligen und komplexen Zahlungssystems, das eine vollständige Interoperabilität mit den bestehenden Zahlungssystemen erfordert. Banken und Zahlungsdienstleister (PSP) werden eine entscheidende Rolle bei der Verbreitung des digitalen Euro spielen, indem sie die bestehenden Infrastrukturen zur Verwaltung von Transaktionen und Konten nutzen. Technologische Herausforderungen und Risiken müssen sorgfältig abgewogen werden, und eine umfassende Bewertung der potenziellen Vorteile und Kosten ist unerlässlich.
Das Eurosystem muss außerdem lernen, eine neue Infrastruktur zu verwalten und zu schützen, die weltweit die Aufmerksamkeit von Cyber-Kriminellen auf sich ziehen wird.
CF: Das klingt nach vielen Hürden …
Grueva: Damit der digitale Euro erfolgreich sein kann, muss er klare Vorteile bieten und gleichzeitig einen fairen Wettbewerb gewährleisten. Jedes neue System muss mit den bestehenden Vorschriften in Einklang stehen und eine transparente, faire Preisgestaltung fördern, was die Bedeutung von Partnerschaften zwischen dem öffentlichen und dem privaten Sektor unterstreicht. Angesichts der Doppelrolle der EZB als Betreiber und Aufsichtsbehörde ist eine strikte Trennung erforderlich, um die Unabhängigkeit zu wahren und Interessenkonflikte zu vermeiden.
Die Verbreitung des digitalen Euro über verschiedene Anwendungen, die von Banken, Zahlungsdienstleistern (PSPs) und der EZB entwickelt wurden, positioniert die EZB als potenziellen Zahlungsdienstleister. Diese Konstellation könnte zu einem Wettbewerb zwischen der EZB, Zahlungsdienstleistern, Fintech-Unternehmen und traditionellen Banken um Zahlungsdienstleistungen führen. Daher ist die Zusammenarbeit zwischen allen Beteiligten von entscheidender Bedeutung, um wertvolle Anwendungsfälle für den digitalen Euro zu ermitteln, wie z.B. Offline-Mikrozahlungen und programmierbare Zahlungen, und gleichzeitig sicherzustellen, dass die neue digitale Münze die bestehenden Finanzsysteme ergänzt, anstatt sie zu stören. Vor allem die Banken werden sich anpassen und ihre Zahlungslösungen und -verfahren aktualisieren müssen, um den Anforderungen dieses sich entwickelnden Ökosystems gerecht zu werden.
CF: Welche technischen Voraussetzungen sind erforderlich, um den digitalen Euro umzusetzen und zu nutzen?
Grueva: Um den digitalen Euro sicher und effizient umzusetzen, ist eine robuste und skalierbare technische Infrastruktur erforderlich, die Fragen wie Datenschutz, Sicherheit, Skalierbarkeit, Verfügbarkeit, Geschwindigkeit und Interoperabilität berücksichtigt.
Die EZB strebt den Aufbau eines digitalen Euro-Systems an, das den Datenschutz in seine Architektur integriert. Die Vermeidung staatlicher Überwachung ist eine wichtige Priorität für die europäischen Bürgerinnen und Bürger, und glücklicherweise kann die Wissenschaft dies heute durch den Einsatz fortschrittlicher kryptografischer Techniken wie Zero-Knowledge-Proofs (ZKPs), die eine Überprüfung ohne Preisgabe sensibler Informationen ermöglichen, erfolgreich angehen. Um Innovationen zu fördern und das Ökosystem rund um den digitalen Euro zu verbessern, sollte die EZB gut dokumentierte Anwendungsprogrammierschnittstellen (APIs) anbieten, die es Drittentwicklern, wie Fintech-Unternehmen und Banken, ermöglichen, den digitalen Euro in ihre eigenen Systeme und Anwendungen zu integrieren.
Schließlich müssen die digitalen Euro-Geldbörsen intuitiv und benutzerfreundlich sein, damit sie von Menschen jeden Alters und mit unterschiedlichen technischen Fähigkeiten problemlos genutzt werden können. Gleichzeitig sollten sie auf verschiedenen Geräten und über unterschiedliche Plattformen (z.B. Android, iOS, Desktop) zugänglich sein. Die EZB plant, den digitalen Euro auch in Offline-Umgebungen nutzbar zu machen und die Abwicklung von Zahlungen ohne aktive Internetverbindung zu ermöglichen, insbesondere bei kleinen Transaktionen.
CF: Wie unterscheidet sich der digitale Euro von bestehenden Kryptowährungen wie Bitcoin oder Ethereum?
Grueva: Der digitale Euro wird den Status eines gesetzlichen Zahlungsmittels haben; die EZB wird ihn ausgeben, kontrollieren, sein Hauptbuch verwalten und die volle Autorität über sein Angebot, seine Verteilung und seine Politik haben.
Wie andere Fiat-Währungen wird sie in einem vollständig zentralisierten Rahmen mit demselben Rechtsstatus und denselben Garantien wie physisches Bargeld funktionieren. Die EZB plant die Einführung von Funktionen zum Schutz der Privatsphäre bei Transaktionen und wird Mechanismen zur Verhinderung illegaler Aktivitäten wie Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung einbauen.
Da der digitale Euro als Ergänzung zum Bargeld gedacht ist, wird es keine feste Versorgungsgrenze geben – die EZB ist befugt, die Versorgung entsprechend den wirtschaftlichen Erfordernissen und den Zielen der Geldpolitik anzupassen.
Bitcoin ist dagegen eine dezentrale Blockchain, deren nativer Token auch Bitcoin (BTC) genannt wird, und Ethereum ist eine dezentrale Blockchain-Plattform, deren nativer Token Ether (ETH) genannt wird. Sowohl BTC als auch ETH arbeiten in dezentralen Peer-to-Peer-Netzwerken. Es gibt keine zentrale Behörde, die Bitcoin kontrolliert, und seine Entwicklung wird durch Bitcoin Improvement Proposals (BIPs) gelenkt, die von den Mitgliedern der Community eingereicht werden und über die alle Netzwerkbeteiligten später diskutieren und an einer endgültigen Entscheidung mitwirken können. Bei Ethereum beteiligen sich Entwickler und Nutzer der Plattform durch Mechanismen wie Einsätze und Abstimmungen an der Steuerung, aber es gibt immer noch keine zentrale Instanz, die die Währung kontrolliert.
In der EU gelten sowohl BTC als auch ETH nicht als gesetzliches Zahlungsmittel, daher sind Händler und Unternehmen nicht verpflichtet, sie als Zahlungsmittel zu akzeptieren. Beide Token sind pseudonym, wobei alle Transaktionsdaten auf der Blockchain öffentlich zugänglich sind. Zwar sind die Identitäten der Nutzer nicht direkt mit den Blockchain-Adressen verknüpft, doch gibt es heute ausgefeilte Tracking-Tools, die die Anonymität der Nutzer aufheben können, indem sie die Transaktionen mit realen Identitäten verknüpfen. Es gibt also – genau wie beim digitalen Euro – keine Anonymität.
In der EU fallen die Erbringung von Dienstleistungen im Zusammenhang mit BTC und ETH sowie die Unternehmen, die diese Dienstleistungen erbringen, unter die Verordnung über Märkte für Krypto-Assets (MiCA) und müssen die AML- und KYC-Anforderungen erfüllen.
Insgesamt ist der digitale Euro den einheimischen digitalen Währungen wie Bitcoin und Ether überhaupt nicht ähnlich. Es gibt große Unterschiede in Bezug auf den Zweck und die Verwendung der Token, den operativen Rahmen und den rechtlichen Status.
CF: Wie wird sich der digitale Euro auf die Wettbewerbsfähigkeit der EU auf dem globalen Finanzmarkt auswirken?
Grueva: Die Blockchain-Technologie hat das Potenzial, die Art und Weise, wie Werte ausgetauscht und gespeichert werden, in allen Branchen zu verändern, nicht nur im Finanzwesen. Das Weltwirtschaftsforum prognostiziert, dass bis 2027 10 % des globalen BIP in Token umgewandelt und auf Blockchain gespeichert werden. Die Tokenisierung von realen Werten beschleunigt sich dramatisch, und um von diesem Trend zu profitieren, müssen wir damit beginnen, unser Geld zu tokenisieren. In diesem Zusammenhang ist es entscheidend, Geld und Werte auf der Kette zu haben, um Vertrauen aufzubauen, Transaktionen zu erleichtern und die Wirtschaft in dezentralen Netzwerken zu unterstützen.
Ein digitaler Euro, als Geld auf der Blockchain, kann die Wettbewerbsfähigkeit der EU auf dem globalen Finanzmarkt in mehrfacher Hinsicht stärken. Ein gut umgesetzter digitaler Euro könnte grenzüberschreitende Zahlungen schneller, billiger und effizienter machen. Dies würde seine Verwendung im globalen Handel fördern und die Rolle des Euro als Währung für internationale Transaktionen möglicherweise stärken. Der digitale Euro könnte effektiver mit anderen globalen Währungen konkurrieren, einschließlich des US-Dollars und Chinas digitalem Yuan. Schnellere Abwicklungszeiten, niedrigere Gebühren und eine geringere Abhängigkeit von Zwischenhändlern könnten die Attraktivität des Euro im internationalen Finanzwesen erhöhen.
Derzeit sind viele grenzüberschreitende Zahlungen auf außereuropäische Finanzinfrastrukturen wie Visa und Mastercard angewiesen. Der digitale Euro würde die Abhängigkeit der EU von ausländischen Systemen verringern und die finanzielle Souveränität der Region stärken. Durch eine robuste, von Europa kontrollierte Zahlungsinfrastruktur kann die EU eine größere Widerstandsfähigkeit gegenüber externen finanziellen Schocks oder Sanktionen gewährleisten. Außerdem kann die EU die Kontrolle über die in der Region generierten Zahlungsdaten behalten, was die Datensouveränität der europäischen Bürger verbessern kann.
Wenn der digitale Euro gut angenommen wird, dürfte er die Innovation im Finanzsektor der EU ankurbeln. Durch die Schaffung einer gemeinsamen digitalen Währung können Fintech-Unternehmen und Finanzinstitute neue Zahlungslösungen, intelligente Verträge und automatisierte Finanzdienstleistungen entwickeln, die den digitalen Euro nutzen. Dies könnte ein wettbewerbsfähigeres Finanzökosystem fördern, globale Investitionen in europäische Fintech-Unternehmen anziehen und den Einfluss der EU im digitalen Finanzwesen stärken.
CF: Vielen Dank für das Interview!
Das Interview führte Viola C. Didier, RES JURA Redaktionsbüro