16.04.2018

Deutsche Biotech-Unternehmen wachsen

Autokonzerne auf der Überholspur

© Sergey Nivens/fotolia.com

Die deutsche Biotechbranche ist weiter auf Wachstumskurs, doch der große Sprung bleibt aus: Der Umsatz stieg 2017 im Vergleich zum Vorjahr um acht Prozent auf ein neues Rekordhoch von 4 Milliarden Euro.

Die Biotechunternehmen erhielten zudem eine Rekordfinanzierung in Höhe von insgesamt 627 Millionen Euro – eine Steigerung um mehr als ein Drittel (37 Prozent) im Vergleich zum Vorjahr. Den größten Anteil daran hatten insbesondere die Kapitalerhöhungen an der Börse, die um knapp 60 Prozent auf 340 Millionen Euro zulegten. Dazu gab es zwar erneut nur einen einzigen Börsengang, der allerdings hatte es in sich: Der IPO des Jenaer Unternehmens InflaRx brachte 86 Millionen Euro ein – das war mehr als an Kapital in den beiden Vorjahren zusammen eingespielt wurde.

Trotz der positiven Kennzahlen: Die Wachstumsraten im Vorjahr waren beim Umsatz höher. Zudem gelang es erneut nicht, das Risikokapital für Start-ups signifikant zu steigern – es ging sogar leicht von 213 auf 201 Millionen Euro zurück. Auch die Investitionen in Forschung und Entwicklung sanken um drei Prozent auf 1,2 Milliarden Euro.

Einen ganz anderen Trend zeigt der internationale Vergleich: In Europa stieg das Venture Capital signifikant um mehr als ein Fünftel auf 2,2 Milliarden Euro. In Frankreich stieg das Risikokapital sogar um 85 Prozent auf 250 Millionen Euro, womit sich das Land im Ranking noch vor Deutschland positioniert. Das Vereinigte Königreich mit einer Gesamtsumme von 672 Millionen Euro und die Schweiz mit 450 Millionen Euro sind dem deutschen Venture-Capital-Markt innerhalb der Biotechbranche ohnehin schon lange enteilt. In beiden Ländern wurden auch die Top-Fünf-Finanzierungen in Europa beobachtet, die alleine 25 Prozent zur Gesamtsumme beitragen.

Während in Deutschland der Gang aufs Parkett eher die Ausnahme bleibt, legte in Europa auch die Zahl der Börsengänge weiter zu. 27 Börsengänge brachten insgesamt 950 Millionen Euro ein (2016: 650 Millionen €).

Das sind Ergebnisse des Deutschen Biotechnologie-Reports 2017 der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY in Kooperation mit dem Branchenverband BIO Deutschland.

Der Studienautor und Leiter des deutschen Life Science Centers von EY, Dr. Siegfried Bialojan, wünscht sich von der deutschen Biotechbranche größere Entwicklungsschritte: „Rekordumsätze, Rekordfinanzierung, steigende Mitarbeiterzahlen – die Kennzahlen der Biotechbranche in Deutschland sind numerisch positiv. Das ist erfreulich. Dennoch entspricht dies bei weitem nicht dem tatsächlichen Potenzial der Wissenschaft in Deutschland. Der große Sprung nach vorne bleibt aus. Insbesondere beim Risikokapital gibt es keine Entwicklung nach vorne – im Gegenteil: die Summe ging wieder leicht zurück. Dabei ist es gerade das Venture Capital, das Investorenvertrauen ausdrückt und Zukunftsvisionen honoriert – an beidem mangelt es im internationalen Vergleich.“

Dr. Peter Heinrich, Vorstandsvorsitzender von BIO Deutschland e. V. sagt: „So sehr wir uns über die positive Entwicklung bei Umsatz und Mitarbeiterzahlen freuen, bereitet uns die Stagnation bei den FuE-Investitionen und bei den Unternehmensgründungen Sorge. Biotechnologie steht für Innovation in fast allen Lebensbereichen. Sie ist die Brücke zwischen Biologie und Innovation. Die Innovationsintensität der Biotechnologieunternehmen ist mit 30 Prozent noch ausgesprochen hoch. Damit dies so bleibt und die Biotechnologiebranche in Deutschland als weiteres Standbein der Industrie etabliert wird, brauchen wir hier ein gemeinsames Engagement von Politik und Gesellschaft und eine Agenda für die Biotechnologie.“

Breite Verteilung von Finanzierungsrunden und Kapitalerhöhungen

Immerhin blieben Finanzierungsrunden für Biotech-Start-ups hierzulande keine Einzelereignisse mehr, sondern verteilten sich breiter auf mehr Unternehmen. Gleich fünf Unternehmen konnten sich signifikante Finanzierungen von über zehn Millionen Euro sichern. Positiv ist auch die Tatsache, dass inzwischen auch internationale Venture-Capital-Investoren zunehmend in Deutschland aktiv sind.

Gleiches gilt für die Kapitalerhöhungen der börsennotierten Unternehmen. An der Rekordsumme von 340 Millionen Euro partizipierten 15 der 22 notierten Biotechs, die Hälfte aller Kapitalerhöhungsrunden lag zudem bei über zehn Millionen Euro.

„Das breiter verteilte Risikokapital und die hohe Beteiligung an Kapitalerhöhungen zeigt: Die Investoren haben Biotech als Innovationsmotor – auch in Deutschland – auf dem Schirm“, so Bialojan. „Die Betrachtung der Absolutzahlen enttäuscht dennoch. Ein Blick nach Europa oder in die USA zeigt, dass die Dynamik in anderen Ländern viel höher ist.“ Dadurch könne sich die Branche dort auch viel besser auf Veränderungen etwa durch die Digitalisierung der Geschäftsmodelle oder den Wandel der Gesundheitsmärkte einstellen.

„Wenn wir international wieder Anschluss finden wollen, muss ein ‚Modell Deutschland‘ her, das viele gängige Praktiken in Frage stellt und neue Wege geht: dazu gibt die Innovationsgleichung den Weg vor: Innovation ist das Produkt aus Forschung. Unternehmergeist und Kapitalverfügbarkeit Die Forschungsförderung etwa ist zu projektfokussiert ausgerichtet und setzt kaum Anreize für einen professionellen Technologietransfer; ebenso fehlen unternehmerische Incentives für die Entwicklung kommerzieller Anwendungen. Unternehmertum und Risiko hierzulande sind bei weitem nicht so positiv besetzt wie in den USA. Hier braucht es ein gesamtgesellschaftliches Umdenken, das schon in den Schulen einsetzen muss. Zudem muss die Kapitalverfügbarkeit verbessert werden – etwa durch Steuervergünstigungen für Anleger in Risikokapitalfonds sein. Insgesamt ist ein Wandel der Innovationskultur in Deutschland erforderlich.“

Nur acht Neugründungen im Jahr 2017

Die Gründungsdynamik in Deutschland ist nach wie vor sehr verhalten: 2017 kamen nur acht neu gemeldete Biotech-Unternehmen hinzu. Insgesamt stieg die Zahl der Unternehmen um sechs auf 647. Zusammen beschäftigten sie 25.927 Mitarbeiter, eine Steigerung gegenüber dem Vorjahr um zwölf Prozent.

Auch vom M&A-Markt kam 2017 kein großer Schub für die Branche. Ver- und Zukäufe hielten sich in Deutschland mehr oder weniger die Waage. In Europa und den USA ging das Dealvolumen sogar um 39 Prozent auf 61 Milliarden US-Dollar zurück. Gründe waren unter anderem die Verunsicherung durch die 2018 in Kraft getretene US-Steuerreform aber auch verhältnismäßig hohe Marktpreise. Hier besteht Hoffnung auf Erholung in 2018.

Allianzen mit Beteiligung deutscher Biotech Firmen stiegen zahlenmäßig zwar auf über 100 Deals an. Die Volumensteigerung auf über 3.5 Milliarden €) ist allerdings nur durch die beiden großen Deals von CureVac (mit Eli Lilly) und immatics (mit Amgen) zu erklären. „Solche Transaktionen lassen das angedeutete große Potenzial deutscher Biotechs aufblitzen; wir sollten mehr davon sehen“, so Bialojan abschließend.

(Pressemitteilung EY vom 16.04.2018)


Redaktion

Weitere Meldungen


Idee, Glühbirne, Forschung, Entwicklung
Meldung

©ra2 studio/fotolia.com

18.04.2024

US-Konzerne erhöhen Forschungsausgaben

Trotz stagnierender Umsätze und sinkender Gewinne: Die innovativsten Top-Konzerne der Welt investieren weiterhin stark in Forschung und Entwicklung (F&E). So sind die Forschungs- und Entwicklungsbudgets der 500 Unternehmen weltweit mit den höchsten F&E-Ausgaben im Jahr 2023 um insgesamt 12 % gestiegen – obwohl der Umsatz nur um 2 % zulegte und der Gesamtgewinn sogar um 9 % schrumpfte.

US-Konzerne erhöhen Forschungsausgaben
Investition, Geld, Investor, Vermögen, Kapital
Meldung

pitinan/123rf.com

18.04.2024

Unternehmen planen weniger Investitionen für 2024

Die Unternehmen in Deutschland haben ihre Investitionsvorhaben für das laufende Jahr nach unten korrigiert. Die ifo Investitionserwartungen fielen auf -0,1 Punkte im März, nach +1,2 Punkten im November. „Die globale Nachfrage nach Investitions- und Vorleistungsgütern bleibt schwach und wirtschaftspolitische Unsicherheiten bestehen weiter. Viele Unternehmen verschieben daher ihre Investitionsentscheidungen“, sagt Lara Zarges, Konjunkturexpertin am ifo Institut.

Unternehmen planen weniger Investitionen für 2024
Europa, Europaflagge, EU, Parlament, Kommission
Meldung

©Grecaud Paul/fotolia.com

17.04.2024

EU-Binnenmarkt ist der wichtigste Auslandsmarkt

Der europäische Binnenmarkt besitzt für die mittelständischen Industrieunternehmen sowohl als Beschaffungs- als auch Absatzmarkt von allen Auslandsmärkten die höchste Relevanz, gefolgt von den Märkten in den anderen europäischen Ländern und in China. Dies zeigte in 2023 eine IfM-Befragung von über 1.800 Führungskräften im industriellen Mittelstand. EU-Binnenmarkt bietet viele Vorteile Die Unternehmen profitieren sowohl von der

EU-Binnenmarkt ist der wichtigste Auslandsmarkt
CORPORATE FINANCE - Die Erfolgsformel für Finanzprofis

Haben wir Ihr Interesse für CORPORATE FINANCE geweckt?

Sichern Sie sich das CORPORATE FINANCE Gratis Paket: 1 Heft + Datenbank