Die weitreichenden Umbrüche in den globalen Lieferketten zwingen Supply-Chain-Verantwortliche dazu, ihre Ökosysteme grundlegend zu transformieren – doch nur ein Drittel der deutschen Unternehmen ist für Disruptionen bereit. Zu diesem Ergebnis kommt die aktuelle Studie „Reinventing Supply Chains 2030“ der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PwC Deutschland (PwC). Für die Untersuchung wurden weltweit mehr als 1000 Führungskräfte aus dem Bereich Supply Chain zu den wichtigsten Trends und Entwicklungen der Branche befragt.
Externe Schocks sind das „New Normal“
Die befragten Führungskräfte spüren angesichts dieser Veränderungen den Druck, ihr gesamtes Lieferkettenkonzept umzudenken, um es anpassungsfähiger, nachhaltiger und intelligenter zu gestalten – also „denkende“ Systeme zu schaffen, die lernen und sich weiterentwickeln. Ihre Pläne beinhalten, die Transparenz zu erhöhen, KI und Robotik zu integrieren und alle Stakeholder miteinander zu vernetzen, um Probleme schneller zu erkennen und beheben. Dies, so die Befragung, gelingt derzeit allerdings nur einer Minderheit von „Supply Chain Champions“.
Die erfolgreichsten Transformationen zeichnen sich durch Ende-zu-Ende-Ansätze aus, sind aber sehr komplex und erfordern laut den Supply Chain Champions anspruchsvolle Fähigkeiten und Technologien sowie neue Arbeitsweisen. Daneben sind auch eine klare Vision und Roadmap, Ressourcenkapazitäten und das Engagement der Mitarbeitenden gefordert. Die Umfrage ergab, dass gerade einmal 8 % der Unternehmen von sich sagen, dass sie ihre Lieferketten bereits vollständig transformiert haben, um bahnbrechenden Trends gerecht zu werden. Befragt nach ihrer Befähigung, technologische Disruptionen bewältigen zu können, gaben 45 % der Unternehmen an, Initiativen zu planen – tatsächlich in Angriff genommen haben das Thema sogar schon 50 %. In Deutschland planen zwar erst 37 % der befragten Unternehmen entsprechende Initiativen, dafür haben bereits 61 % bereits konkrete Maßnahmen angestoßen.
Eine gelungene Transformation wirkt sich unmittelbar auf die Wettbewerbsfähigkeit aus. So erwarten die Supply Chain Champions Kostensenkungen in der Lieferkette von 19 % sowie Umsatzsteigerungen von 16 %. Nutzen Unternehmen die Effekte des Umbruchs richtig, können sie ihre Resilienz und ihren Vorsprung zur Konkurrenz ausbauen.
„Kontinuierliche Disruptionen sind das ,New Normal‘. Unternehmen müssen daher Schritte einleiten, um ihre Lieferketten ganzheitlich neu zu denken. Anpassungsfähigkeit, Nachhaltigkeit und eine neues kognitives Ökosystem sind dabei der Schlüssel“, sagt Stefan Schrauf, Partner und Co-Lead Operations Transformation and Supply Chain Europe bei PwC Deutschland.
Nachhaltigkeit bleibt integraler Bestandteil des Wandels
Die Auswirkungen der anhaltenden Polykrise aus geopolitischen Konflikten, den Folgen des Klimawandels, steigenden Kosten und Inflation halten Supply-Chain-Executives in Atem. Insbesondere die steigenden ESG-Anforderungen bringen neue Herausforderungen mit sich:
„Gesetzgeber weltweit verschärfen regulatorische Vorgaben während Verbraucher zunehmend erwarten, dass Unternehmen ihre Umwelt- und Sozialbemühungen verstärken. Diese Trends geben neuen Lieferkettenmodellen und Wettbewerbsumgebungen einen starken Auftrieb“, so Schrauf.
Folglich erkennen mehr als 40 % der befragten Unternehmen die Notwendigkeit, ihre Lieferketten ESG-konformer zu gestalten. Doch nur 12 % geben an, ihre Lieferketten bereits daran angepasst und Schlüsselfunktionen wie ein ESG-getriebenes Circular Network Design und eine ESG-Lieferkettenplanung weitestgehend implementiert zu haben. 66 % haben entsprechende Initiativen bereits gestartet und 22 % der Unternehmen sagen, dass sie diese Herausforderung derzeit noch nicht angehen.
Technologiewandel als Chance
Zu den großen Chancen des Wandels zählen neue Technologien, die die Datensichtbarkeit erhöhen, Prozesse und Entscheidungsfindungen automatisieren, die Kommunikation und Zusammenarbeit verbessern und so Lieferketten nachhaltiger und widerstandsfähiger machen. Vor allem digitale Zwillinge, also interaktive virtuelle Replikate von physischen Objekten, Systemen und Prozessen, bieten großes Potenzial. 56 % der Unternehmen prognostizieren, dass digitale Zwillinge unmittelbare Auswirkungen auf ihre Lieferketten haben werden. Weitere 37 % der Unternehmen, die ihre Lieferketten technologisch vollständig angepasst haben, nutzen sie bereits in ihrer Lieferkettenplanung.
Auch Künstliche Intelligenz ist eine Schlüsseltechnologie in der Lieferkettentransformation. Die befragten Supply Chain Champions nutzen KI zum Beispiel bereits für Lieferkettenplanung, Logistik, Auftragsmanagement oder Risikomanagement, um Störungen vorhersagen und schnell reagieren zu können. Insgesamt 80 % der Unternehmen glauben, dass KI langfristig positive Auswirkungen auf ihre Lieferketten haben wird.
Die Lieferkettentransformation ist eine komplexe und umfangreiche Herausforderung, die parallel zum alltäglichen Geschäftsbetrieb erfolgen muss. Daher nehmen Supply-Chain-Manager:innen häufig nur geringfügige Anpassungen vor. Doch marginale Verbesserungen von Qualität oder Service reichen nicht aus – es ist ein umfassenderer Ansatz erforderlich, wie auch Stefan Schrauf betont: „Auf dem Weg zur wettbewerbsfähigen Lieferkette gibt es keine Abkürzungen.“
(PwC Research vom 03.07.2024 / RES JURA Redaktionsbüro)