Ein starkes Auftaktquartal hatte noch Ende März die Hoffnungen genährt, dass sich 2024 wieder mehr Unternehmen in Deutschland an die Börse wagen würden. Diese Erwartungen haben sich im zweiten Quartal nicht bestätigt: Kein einziges Unternehmen entschied sich zwischen Anfang April und Ende Juni für ein Initial Public Offering (IPO) an der Börse Frankfurt. Auch in Sachen Kapitalerhöhungen verlief das zweite Quartal enttäuschend: Das Volumen fiel auf den niedrigsten Stand der vergangenen Dekade.
Zu diesen Ergebnissen kommt die Analyse „Emissionsmarkt Deutschland“, für die das Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmen PwC vierteljährlich die Aktienneuemissionen sowie Kapitalerhöhungen von Unternehmen mit Primary Listing an der Börse Frankfurt erfasst.
Dual Track als Standard
„Das Umfeld für Börsengänge ist derzeit äußerst schwierig. Nicht nur die wirtschaftliche, sondern auch die politische Gemengelage in Folge der Europawahl sorgt für Unsicherheit. In den kommenden Monaten stehen mit Frankreich, Großbritannien und den USA in gleich drei wichtigen Märkten Wahlen an. Die Angst vor einem weiteren Rechtsruck führt zu einer Verunsicherung in einem ohnehin wirtschaftlich angespannten Umfeld“, sagt Stephan Wyrobisch, Experte für Kapitalmarkttransaktionen bei PwC Deutschland.
Einen weiteren Grund für die aktuelle Flaute im IPO-Markt sieht Stephan Wyrobisch in der gemischten Aftermarket-Performance der Börsenneulinge aus Q1. Auch bieten sich für einige Emittenten derzeit attraktive Alternativen zu einem Börsengang. Insbesondere bei Unternehmen in Private-Equity-Besitz setzen die Investoren bei einem angestrebten Exit meist auf „Dual Track“: Das heißt, sie bereiten Verkauf und Börsengang parallel vor. „Aktuell sehen wir bei vielen dieser Prozesse eine Präferenz für den Verkauf anstelle des IPOs, zumal Kapitalmarktinvestoren in unsicheren Zeiten deutliche Bewertungsabschläge verlangen“, beobachtet Stephan Wyrobisch.
Kapitalerhöhungen fallen auf Zehn-Jahres-Tief
Auch in Sachen Kapitalerhöhungen verlief das zweite Quartal nicht wie erhofft: Nur vier Unternehmen besorgten sich auf diesem Weg frisches Kapital. Im ersten Quartal waren es noch sieben. Die Erlöse lagen in Q2 bei mageren 14 Millionen Euro, dem niedrigsten Wert für ein Quartal in den vergangenen zehn Jahren. Im Auftaktquartal 2024 erreichte das Volumen der Kapitalerhöhungen noch 379 Millionen Euro.
„Nachdem die Europäische Zentralbank Anfang Juni den Leitzins erstmals seit 2019 wieder leicht gesenkt hat, warten Emittenten möglicherweise weiter ab, bis Fremdkapital wieder günstiger wird, anstatt sich über Kapitalerhöhungen frisches Geld zu besorgen. Dazu kommt: In einem wirtschaftlich schwachen Umfeld werden Investitionspläne, die häufig Anlass für Kapitalerhöhungen sind, weniger hoch priorisiert“, so Wyrobisch.
Positive Signale bei den Fremdkapitalemissionen
Bei den Fremdkapitalemissionen zeigt sich ein gemischtes Bild: Im Investment-Grade-Bereich gaben die Emissionen nach einem starken Jahresauftakt leicht nach. Die Anzahl der Platzierungen lag im ersten Quartal 2024 bei 26, im zweiten Quartal immerhin noch bei 23 – und damit im Vergleich zu 2023 weiter auf hohem Niveau. Das Gesamtemissionsvolumen reduzierte sich gegenüber dem ersten Quartal um 39 Prozent und erreichte mit 17,5 Milliarden Euro in etwa den Vorjahresdurchschnitt.
Aus dem Markt für High-Yield-Bonds kommen positive Signale: Nach einem fulminanten Start ins Jahr 2024 konnte sich dieses Marktsegment auch im zweiten Quartal behaupten. Auch wenn die Anzahl an Platzierungen etwas geringer ausfiel als im ersten Quartal (10 vs. 11), verdoppelte sich das Emissionsvolumen in Q2 2024 beinahe und lag bei 5,5 Milliarden Euro (Q1: 3 Milliarden Euro).
IPO-Zeitfenster im Herbst ist noch nicht verloren
Stephan Wyrobisch hegt keine großen Erwartungen an den weiteren Verlauf des IPO-Jahres 2024: „Es besteht die Chance, dass sich im Herbst noch ein Zeitfenster öffnet, in dem Börsengänge möglich sind. Zehn IPOs für das Jahr 2024 halte ich Stand heute für wenig realistisch, aber die ein oder andere Erstnotiz ist in der zweiten Jahreshälfte nicht ausgeschlossen. Die Mehrzahl der potenziellen Emittenten bereitet sich allerdings intensiv auf die erste Jahreshälfte 2025 vor.“
Die Pipeline an Börsenaspiranten bleibt gut gefüllt: Marktberichten zufolge strebt beispielsweise der Generikahersteller Stada einen Börsengang an. Auch für den Energiedienstleister Techem ist der Gang aufs Parkett eine Option. Aber auch hier könnte es am Ende auf einen Verkauf hinauslaufen, da das Unternehmen Marktberichten zufolge ebenfalls auf einen Dual Track setzt.
(PwC vom 02.07.2024 / RES JURA Redaktionsbüro)