Bei der monatlichen deutschen Inflationsrate dürfte im Verlauf der zweiten Jahreshälfte 2022 ein Abwärtstrend einsetzen, solange die Energiepreise zumindest stagnieren. Im Jahresdurchschnitt 2022 dürfte sich die Inflationsrate gemessen am Harmonisierten Verbraucherpreisindex bei 6,3% einpendeln. Die anhaltende Überwälzung der höheren Produktionskosten auf die Verbraucherpreise und ein Anstieg der Löhne unter anderem aufgrund einer deutlichen Anhebung des Mindestlohns im Oktober 2022 dürften die Inflation auch 2023 mit 3,0% noch deutlich über der geldpolitischen Zielmarke von durchschnittlich 2% halten.
Materialengpässe und Energiepreisanstieg belasten neben Corona-Pandemie die Konjunktur
Der ehemals erhoffte kräftige Aufschwung erstickt im Würgegriff des Krieges, stellen die Studienautoren fest. Mit einer durchgreifenden konjunkturellen Belebung sei, anders als vor dem russischen Angriff auf die Ukraine erwartet, erst wieder zu rechnen, wenn die hemmenden Faktoren nachlassen. Wegen des Krieges werden die Energiepreise längerfristig hoch sein und so die Kaufkraft belasten. Außerdem könne es wegen Chinas strikter Lockdowns selbst bei kleinen Corona-Ausbrüchen immer wieder zu zusätzlichen Störungen in den globalen Lieferkette kommen. Für den Rest des Jahres erwarten die Autoren des KfW-Konjunkturkompasses deshalb nur moderat positive Quartalswachstumsraten in Deutschland, auch stagflationäre Tendenzen sind durchaus möglich.
Zunahme des deutschen BIP um real 1,6% für 2022 und 1,2% für 2023 erwartet
Auf die Konjunktur in der Eurozone insgesamt wirken dieselben maßgeblichen Kräfte ein wie in Deutschland: der Krieg in der Ukraine, die Materialengpässe, der Energiepreisanstieg und die Corona-Pandemie. Unterschiede in den Wachstumsprofilen der Euroländer zueinander wie im Vergleich zu der Eurozone als Ganze sind im Wesentlichen die Folge zeitlicher Verschiebungen im Verlauf der einzelnen Corona-Wellen einschließlich der damit einher gehenden gesundheitspolitisch motivierten Interventionen im Zusammenspiel mit der Wirtschaftsstruktur der Länder. In den anderen drei großen Euroländern Italien, Frankreich und Spanien war das Bruttoinlandsprodukt 2020 nach Ausbruch der Corona-Pandemie und den daraufhin verfügten strikten Lockdowns viel stärker eingebrochen als in Deutschland, wo der hohe Industrieanteil zunächst stabilisierte. Entsprechend höher war dort nach Rücknahme der Corona-Maßnahmen die Aufholbewegung im Jahr 2021, sodass die Eurozone mit erheblich mehr Schwung in das Jahr 2022 starten konnte als Deutschland.
Deutsche Inflationsrate könnte 2022 bei 6,3% liegen
Unterm Strich ist dem KfW-Konjunkturkompass zufolge für die Eurozone daher wie schon 2021 für das laufende Jahr nochmals ein merklich höheres Realwachstum von 2,5% zu erwarten (Vorprognose: +3,6%). Im Jahr 2023 wird sich das Realwachstum dem deutschen aber wieder stark annähern und dürfte bei 1,3% liegen (Vorprognose: +2,7%). Für die jahresdurchschnittliche europäische Verbraucherpreisinflation sind die Erwartungen mit 6,4% für 2022 und 3,1% für 2023 nur unwesentlich höher als in Deutschland.
Außergewöhnlich hohe Prognoserisiken aufgrund des Ukraine-Krieges
Angesichts der kaum antizipierbaren weiteren Entwicklung des Ukraine-Krieges sowie der daraufhin noch ergriffenen Sanktionen ist das Prognoserisiko gegenwärtig weit über das übliche Maß hinaus erhöht. Zudem schwelt die Corona-Pandemie weiter und könnte direkt, etwa falls wegen einer neuen Virusvariante wieder wirtschaftlich relevante Einschränkungen notwendig würden, oder auch indirekt, wie der strenge Lockdown in Schanghai aktuell illustriert, Auswirkungen auf die Konjunktur in Deutschland und der Eurozone haben. Neben der offensichtlichen Verschärfung der Lieferkettenprobleme könnten immer wiederkehrende oder flächendeckende Lockdowns in China auch einen globalen Nachfrageeinbruch auslösen. Letzterer droht ebenfalls, falls die Zentralbanken beim Kampf gegen die Inflation übersteuern oder die gegenwärtig sehr hohen Inflationsraten sogar nur über eine geldpolitisch induzierte Rezession gesenkt werden können. Besonders akut ist außerdem das Szenario eines Lieferstopps von russischem Gas. Neben einem zusätzlichen Anstieg der Inflation durch noch höhere Energiepreise wäre in diesem Fall auch ein gewisser Rationierungsbedarf zu erwarten, der gemäß der aktuellen Gesetzeslage vor allem das Verarbeitende Gewerbe betreffen würde.
Aber auch positive Überraschungen sind dem KfW-Konjunkturkompass zufolge möglich, die für mehr Wachstum sorgen als vorhergesagt, insbesondere im kommenden Jahr. So könnte die Substitution russischer Energie und Rohstoffe reibungsloser gelingen als gegenwärtig erwartet, etwa weil rasch neue Lieferquellen erschlossen werden oder die Transformation hin zu Erneuerbaren Energien substanziell beschleunigt wird. Eine allseits akzeptierte Friedenslösung für die Ukraine würde die kriegsbedingten Unwägbarkeiten schlagartig eliminieren, den Unternehmen wieder deutlich mehr Vertrauen in die Zukunft geben, den Wiederaufbau anstoßen und könnte so vor allem über den Investitionskanal der Konjunktur gerade in Europa neue Impulse geben.
Der aktuelle KfW-Konjunkturkompass ist hier abrufbar.
(Pressemitteilung KfW vom 25.05.2022)