Aufgrund der weltweiten Covid-19-Pandemie stieg die Zahl der deutschen Unternehmen, die ihre eigenen Gewinn- oder Umsatzprognosen korrigieren mussten, im ersten Quartal auf ein neues Rekordniveau: Insgesamt 77 Gewinn- oder Umsatzwarnungen wurden registriert, mehr als je zuvor in einem Quartal und mehr als doppelt so viele wie im Vorjahreszeitraum. Im ersten Quartal 2019 hatte es nur 33 negative Prognosekorrekturen gegeben. Auch die Gewinnerwartungen stiegen im dritten Jahr in Folge – auf 43, den zweithöchsten Stand seit zehn Jahren.
Besonders betroffen waren Automobilunternehmen: Sieben der 12 börsennotierten Hersteller und Zulieferer mussten ihren Ausblick nach unten korrigieren. In der Konsumgüterbranche waren 44 Prozent der Unternehmen betroffen, in der Medienbranche 38 Prozent. Keine Warnungen gab es hingegen von Telekommunikationsunternehmen und Energieversorgern.
Die meisten Prognosekorrekturen wurden im März veröffentlicht, als die weltweite Pandemie an Dynamik gewann und in immer mehr Ländern das öffentliche Leben zum Stillstand kam. Nach fünf Warnungen im Januar und zehn im Februar entfielen 62 Warnungen auf den März. Das sind Ergebnisse einer aktuellen Studie der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY, die veröffentlichungspflichtige Korrekturen an Gewinn- und Umsatzprognosen seit dem Jahr 2011 untersucht.
Bei 80 Prozent der Gewinn- oder Umsatzwarnungen im ersten Quartal wurden die aktuelle Coronavirus-Pandemie und die daraus folgenden wirtschaftlichen Verwerfungen als Ursache genannt. „Die Corona-Krise führt weltweit zu massiven Einschränkungen des Wirtschaftslebens und zu nie dagewesenen Umsatzausfällen in fast allen größeren Märkten. Spätestens ab März dieses Jahres wurden die Prognosen vieler Unternehmen Makulatur“, beobachtet Hubert Barth, Vorsitzender der Geschäftsführung von EY Deutschland.
Bemerkenswert sei, dass sich erstmals seit Beginn der Erhebung im Jahr 2011 die Mehrheit der Unternehmen außerstande sieht, eine neue Prognose abzugeben, so Barth: „Bei 45 der 77 Gewinn- oder Umsatzwarnungen im ersten Quartal wurde die überholte Prognose nicht durch eine neue Prognose ersetzt. Damit fehlt Anlegern nun eine wichtige Information hinsichtlich der Erwartung, wie sich das Geschäft des Unternehmens voraussichtlich entwickeln wird.“
In 43 Fällen haben Unternehmen im ersten Quartal die Anleger darüber informiert, dass die eigene Prognose voraussichtlich übertroffen wird – derartige sogenannte Gewinn- oder Umsatzerwartungen bezogen sich allerdings zumeist auf die Vor-Corona-Zeit und zeigten einen Geschäftsverlauf im vergangenen Jahr an, der besser als erwartet verlief. Dass Unternehmen aufgrund der Pandemie höhere Umsätze oder Gewinne als ursprünglich angenommen einfahren, sei hingegen die absolute Ausnahme, betont Milan Knarse, Partner bei EY in der Restrukturierungsberatung und Mitglied im Reshaping Results Leadership Team. „Wir werden in den kommenden Wochen und Monaten nur wenige positive Überraschungen sehen. Im besten Fall können Unternehmen ihre Produktion umstellen und ihre Produktpalette um derzeit nachgefragte Güter erweitern. Krisenprofiteure gibt es allerdings kaum.“
Autobranche mit den meisten Warnungen
Die meisten Warnungen kamen im ersten Quartal aus der Automobilbranche, die aufgrund der Eindämmungsmaßnahmen im wichtigen Absatzmarkt China im Januar und Februar besonders früh betroffen war: 58 Prozent der börsennotierten Autokonzerne bzw. -zulieferer mussten ihre Prognosen im ersten Quartal nach unten korrigieren. Kein einziges Unternehmen kündigte das Übertreffen der ursprünglichen Prognose an. „Der Automobilsektor war früher als andere Sektoren betroffen. Andere Branchen wie Konsumgüterproduzenten und der Einzelhandel spürten die Auswirkungen später, aber häufig nicht weniger massiv“, sagt Knarse. Er rechnet mit einer weiter steigenden Zahl von Warnungen im zweiten Quartal.
Nur geringe Auswirkungen auf Aktienkurse
In den meisten Fällen wurden die Investoren von den Gewinnwarnungen offenbar kaum überrascht – zumindest hielten sich die Auswirkungen auf die Aktienkurse insgesamt in Grenzen: Am Tag der Veröffentlichung sank der Aktienkurs der betroffenen Unternehmen durchschnittlich um drei Prozent – in einem insgesamt ohnehin schwachen Markt. Im vergangenen Jahr hatte das durchschnittliche Minus am Tag einer Gewinnwarnung noch bei sieben Prozent gelegen. „In einem hochgradig volatilen Kapitalmarkt, der global von COVID 19 betroffen ist, traten zuletzt unternehmensindividuelle Nachrichten etwas in den Hintergrund“, beobachtet Dr. Martin Steinbach, Partner und Leiter des Bereichs IPO and Listing Services bei EY. „Es ist ohnehin jedem Investor klar, dass sich kaum ein Unternehmen dieser beispiellosen Krise entziehen kann. Starke Auswirkungen auf Aktienkurse hatten hingegen Themen wie staatliche Hilfspakete, die Ölpreisentwicklung oder auch Hoffnung auf Impfstoffe.“
Ein größeres Gewicht als die Gewinnentwicklung der Unternehmen habe ohnehin inzwischen das Thema Liquidität bekommen, sagt Knarse: „Derzeit geht es in erster Linie darum, die Mitarbeiter zu schützen, die finanzielle Stabilität und Nachhaltigkeit des Unternehmens zu sichern und den operativen Fortbestand zu gewährleisten.“
Aber auch an die Zukunft sollte gedacht werden, mahnt Knarse: „Die Unternehmen stehen vor der Herausforderung, trotz der zum Teil existenzbedrohenden Krisensituation daran zu arbeiten, widerstandsfähiger und anpassungsfähiger zu werden, etwa durch eine stärkere Digitalisierung, die Flexibilisierung von Kostenstrukturen, besseren digitalen Kundenzugang und robustere Supply Chains. Es wird eine Zeit nach dieser Krise geben – und wer dann lieferfähig ist und ein attraktives Produktangebot bieten kann, wird zu den Gewinnern des anschließenden Aufschwungs gehören.“
Gerade jetzt besonders intensiver Dialog mit Investoren gefragt
„Ereignisse wie die aktuelle Corona-Krise fordern Unternehmen in ihrem Erwartungsmanagement gegenüber Analysten und Investoren heraus“, sagt Steinbach. „Aber sie können gerade in dieser schwierigen Situation Investorenvertrauen durch eine weiterhin glaubwürdige und transparente Kommunikation erhalten, etwa in Bezug auf die Liquiditätslage, die Auswirkungen auf das Bilanzbild und die Maßnahmenbündel in und nach der Coronakrise. Derzeit wird auf Sicht gefahren – aber sobald wieder eine stabilere Basis für eine solide Planung vorhanden ist, sollten die Unternehmen schnellstmöglich konkrete Prognosen abgeben“, mahnt Steinbach.
(Pressemitteilung EY vom 04.05.2020)