Immer mehr deutsche börsennotierte Unternehmen müssen ihre eigenen Umsatz- oder Gewinnprognosen nach unten korrigieren: Im Jahr 2018 gaben die im Prime Standard gelisteten Unternehmen insgesamt 144 Gewinn- oder Umsatzwarnungen heraus – ein Anstieg um 55 Prozent gegenüber 2017, als die Unternehmen in 93 Fällen bekannt machten, dass sie ihre selbstgesteckten Ziele nicht erreichen können. 2016 waren sogar nur 63 Warnungen gezählt worden.
Gut jedes dritte im Prime Standard gelistete Unternehmen – 34 Prozent – hat seine Prognose unterjährig nach unten revidiert, jedes elfte Unternehmen veröffentlichte im Lauf des Jahres sogar zwei oder mehr Gewinn- oder Umsatzwarnungen.
Erstmals seit dem Jahr 2014 wurden damit wieder mehr negative als positive Abweichungen von den Prognosen registriert: Insgesamt 138mal haben börsennotierte Unternehmen im vergangenen Jahr die selbst gesteckten Ziele übertroffen, in diesem Fall spricht man von Umsatz- oder Gewinnerwartungen. Im Vorjahr hatten allerdings deutlich mehr Unternehmen – 195 – ihre Prognosen nach oben korrigiert. Insgesamt musste damit wie im Vorjahr die Mehrheit (59 Prozent) der börsennotierten Unternehmen die eigene Prognose nach oben oder nach unten revidieren.
Das sind Ergebnisse einer aktuellen Studie der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY, die veröffentlichungspflichtige Korrekturen an Gewinn- und Umsatzprognosen im Zeitraum 2011 bis Ende 2018 untersucht. Für die Analyse wurden alle 309 Unternehmen aus dem Prime Standard der Frankfurter Börse betrachtet.
„Das hohe Niveau sowohl an positiven wie auch an negativen Korrekturen ist ein Spiegelbild der uneinheitlichen und teils sogar widersprüchlichen Entwicklungen auf den Märkten“, kommentiert Dr. Marc Förstemann, Partner bei EY in der operativen Restrukturierungsberatung, die Studienergebnisse. „Wir sehen in einigen Branchen und Regionen nach wie vor eine gute bis sehr gute Entwicklung – gleichzeitig nehmen aber die Warnsignale zu, die Risiken steigen sowohl in Europa als auch auf wichtigen Auslandsmärkten wie China. Die stark steigende Zahl negativer Prognosekorrekturen ist ein Indiz für eine sich weiter abkühlende Konjunktur.“
Starke Eintrübung im Handel und in der Autoindustrie
Eindeutig nach unten zeigte der Trend im vergangenen Jahr für Unternehmen aus den Bereichen Handel und Autoindustrie: 83 Prozent der Groß- und Einzelhändler haben im vergangenen Jahr eine Warnung veröffentlicht, bei den Autoherstellern und -zulieferern lag der Anteil bei 75 Prozent. Auf der anderen Seite musste kein einziges Immobilienunternehmen seine Prognosen nach unten korrigieren, während 6 von 10 Unternehmen aus dieser Branche ihre Prognosen unterjährig nach oben schraubten.
Der mit Abstand stärkste Zuwachs an negativen Prognosekorrekturen war im DAX zu verzeichnen: Die Zahl der Warnungen hat sich im Vergleich zum Vorjahr von 4 auf 18 mehr als vervierfacht. Gleichzeitig sank die Zahl der Erwartungen – also der positiven Korrekturen – um 28 Prozent.
Großkonzerne mit Milliardenumsätzen mussten im vergangenen Jahr ihre eigenen Prognosen besonders häufig nach unten korrigieren und veröffentlichten gleichzeitig die wenigsten Aufwärtskorrekturen: Während 38 Prozent der Unternehmen mit einem Jahresumsatz oberhalb der 1-Milliarde-Marke eine Warnung herausgaben, vermeldeten nur 23 Prozent von ihnen eine Umsatz- oder Gewinnerwartung. Umgekehrt schraubten immerhin 49 Prozent der mittelgroßen Unternehmen mit einem Jahresumsatz zwischen 100 und 250 Millionen Euro ihre Prognose unterjährig nach oben – nur 29 Prozent revidierten ihre Prognose nach unten.
Gerade für breit aufgestellte und international tätige Unternehmen haben sich die Rahmenbedingungen zuletzt eingetrübt, beobachtet Dr. Martin Steinbach, Partner und Leiter des Bereichs IPO and Listing Services bei EY: „Die großen, weltweit tätigen Industriekonzerne haben in den vergangenen Jahrzehnten besonders von der Globalisierung profitiert und vielfach weltweite Produktionsverbünde aufgebaut, die sich über mehrere Kontinente erstrecken und in denen beispielsweise Entwicklungszentren und Komponentenwerke eng miteinander verzahnt sind. Gerade diese Konzerne leiden nun unter der angespannten geopolitischen Lage, neuen Handelsschranken und potenziellen Unterbrechungen der Lieferketten.“
Im vergangenen Jahr hat der Handelskonflikt zwischen den USA und China bereits zu erheblichen Einbußen bei großen deutschen Konzernen geführt. Und in diesem Jahr droht ein harter Brexit, sich zu einer enormen Herausforderung für viele Unternehmen zu entwickeln. „Umso wichtiger ist es für Unternehmen, funktionierende Frühwarnsysteme einzurichten, Entscheidungsprozesse zu beschleunigen und vor allem ihre Lieferketten und Schnittstellen mit Zulieferern so anzupassen, dass schnelle Reaktionen auf unvorhergesehene Ereignisse möglich sind“, betont Förstemann. „Den Unternehmen bleibt in dieser Situation nur, auf Sicht zu fahren und für alle Szenarien gewappnet zu sein. Das heißt zum Beispiel auch: Jedes Unternehmen, das in Großbritannien aktiv ist, muss einen Notfallplan für einen harten Brexit in der Schublade haben und jederzeit in der Lage sein, ihn in die Tat umzusetzen.“
Management der Erwartungen in unsicheren Zeiten immer wichtiger
Steinbach rechnet nicht mit einer Beruhigung der politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen – im Gegenteil: „Neben politischen Spannungen, die ganz handfeste wirtschaftliche Folgen haben können, stellen technologische Entwicklungen und die in vielen Branchen zu beobachtende starke Verkürzung der Produktlebenszyklen die Unternehmen vor Herausforderungen.“
Darauf müsse auch die Finanzmarktkommunikation reagieren, so Steinbach: „In unsicheren Zeiten gewinnt das Erwartungsmanagement bei Analysten und Investoren massiv an Bedeutung. Es ist wichtig, im ständigen Dialog mit dem Finanzmarkt zu stehen und transparent und kompetent zu kommunizieren, um Überraschungen und damit starke Kursausschläge zu vermeiden – unabhängig davon, ob es sich um Aufwärts- oder Abwärtskorrekturen handelt.“
Dass das nicht immer gelingt, zeigte sich im vergangenen Jahr vor allem bei den negativen Korrekturen: Im Durchschnitt sanken die Kurse am Tag der Warnung um 8 Prozent, wobei die Gewinnprognose der Unternehmen im Durchschnitt um 41 Prozent nach unten korrigiert wurde. Wenn hingegen Unternehmen ein Übertreffen ihrer Prognosen ankündigten, führte das im Schnitt zu einem Anstieg des Aktienkurses um nur 3 Prozent – was allerdings auch mit einer deutlich geringeren durchschnittlichen Anhebung des Gewinnziels um 23 Prozent korrespondiert.
„Ein Management, das regelmäßig seine Ziele zu niedrig oder zu hoch ansetzt, droht an Glaubwürdigkeit zu verlieren“, warnt Steinbach. „Entsprechend wichtig ist es, einen realistischen Zielkorridor in der Umsatz- und EBIT-Guidance zu nennen, der auf aktuellem und belastbarem Zahlenmaterial basiert.“
(Pressemitteilung EY vom 20.02.2019)