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07.07.2022

Zu wenig digitale und ESG-Kompetenzen: Was Investoren an den Aufsichtsräten von Finanzunternehmen stört

Autokonzerne auf der Überholspur

© Robert Kneschke / fotolia.com

Planen die Aktionäre den Aufstand? Zukünftig könnten solche Szenarien häufiger drohen. Denn die Zeiten, in denen Investoren die Arbeit der Aufsichtsräte einfach nur abnickten, neigen sich offenbar dem Ende zu. Fast jeder vierte Investor (24%) sagt, dass er mit einer deutlichen Zunahme von Kritik durch Aktionäre an Aufsichtsräten von Finanzunternehmen rechnet – etwa indem Mitglieder auf Hauptversammlungen abgewählt oder andere vorgeschlagen werden. Weitere 34% gehen von einer leichten Zunahme der Kritik aus, so die Ergebnisse des Boardroom Monitor der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY.

Die Studie „Boardroom Monitor“ untersucht die Erfahrung, Ausbildung und Fähigkeiten von Verwaltungsratsmitgliedern im MSCI European Financials Index sowie bei mehreren weiteren großen nationalen Institutionen. Zusätzlich befragte EY mehr als 300 institutionelle Anleger bei Finanzunternehmen in Großbritannien, Deutschland, der Schweiz und Frankreich nach ihren Erwartungen an die Aufsichtsräte von Finanzdienstleistern in Europa.

Mehr als jeder zweite Investor rechnet in Zukunft mit Zunahme von Aktionärskritik

Es gibt offenbar Redebedarf zwischen den Aufsichtsräten der Finanzunternehmen und den Investoren. Zum einen geht es dabei um Kompetenzprofile, die Aufsichtsräte nach Meinung der institutionellen Anleger abdecken sollten, vor allem in den Bereichen Nachhaltigkeit und Zukunftstechnologien. Zum anderen spielt Diversität für die Aktionäre eine immer größere Rolle – beim Geschlecht und beim Alter.

So sagt mehr als jeder fünfte Investor (22%), dass ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Frauen und Männern in den Führungsgremien eines Finanzunternehmens ihre Entscheidung, in dieses Unternehmen zu investieren, erheblich beeinflusst. Weitere 37% stufen Diversität in diesem Bereich als „eher wichtig“ ein. In der Realität spiegelt sich das aber noch nicht wider. Bei den untersuchten deutschen Finanzdienstleistungsunternehmen lag der Frauenanteil auf Aufsichtsratsebene bei 37%. Im europäischen Vergleich war der Anteil nur in der Schweiz mit 32% noch geringer. Den höchsten Anteil haben Frauen in Frankreich: Hier sind zwei von drei (66%) Aufsichtsräten weiblich. Unter den 99 untersuchten Banken und Versicherungen in Europa lag der Durchschnittswert bei 44%.

Nur etwas mehr als ein Drittel (36%) der Aufsichtsräte hat einen ausländischen Pass

Auch in punkto Internationalität ist bei vielen Finanzunternehmen noch Luft nach oben: Nur etwas mehr als ein Drittel (36%) der Aufsichtsräte in den 99 untersuchten Top-Finanzdienstleistungsunternehmen hat einen ausländischen Pass, die große Mehrheit sind also – in Bezug auf das jeweilige Institut – „Inländer“. In deutschen Unternehmen ist die Internationalität noch etwas geringer, hierzulande haben 32% einen ausländischen Pass. In Finnland sind es hingegen 75%, in der Schweiz 61% und in den Niederlanden 58%.

Spezialgebiete nicht so einfach zu besetzen

Die Anforderungen an die Zusammensetzung von Aufsichtsräten sind in den vergangenen Jahren massiv gestiegen – und damit auch der Arbeitsaufwand und die Verantwortung, stellen die Studienautoren fest. Investoren würden sich eine immer größere Spannbreite an Kompetenzen wünschen. Allerdings seien die derzeit gewünschten – aber noch untergewichteten – Spezialgebiete nicht so einfach zu besetzen. Es gebe jedoch eine deutliche Tendenz, mehr Diversität in den Aufsichtstrat zu bringen. Mehr Internationalität im Aufsichtsrat helfe dabei, eine fundierte Sicht auf Entwicklungen in ausländischen Märkten zu erlangen.

Kritik an hohem Durchschnittsalter

Knapp jeder fünfte Investor (19%) ist der Meinung, dass es sehr wichtig sei, dass Aufsichtsratsgremien in ihrer Altersstruktur möglichst vielfältig sind. Weitere 41% halten dies für eher wichtig. Auch hier klaffen Wunschvorstellung der Investoren und Realität aber (noch) auseinander: Nur knapp fünf% der Aufsichtsratsmitglieder in den 99 untersuchten Top-Finanzunternehmen sind unter 50 Jahre alt, der Anteil der über 70-Jährigen ist dagegen fast doppelt so hoch (neun%). Fast die Hälfte (49%) der Aufsichtsräte ist zwischen 60 und 70 Jahren alt. Im Schnitt sind die Mitglieder 61 Jahre alt – am jüngsten in Norwegen (57) und in Dänemark am ältesten (63). Die Aufsichtsräte der untersuchten deutschen Unternehmen sind im Schnitt 60 Jahre alt.

Überraschend ist das vergleichsweise hohe Durchschnittsalter wegen der Anforderungen, die an Aufsichtsräte gestellt werden, nicht, so die Studienautoren. Zum Teil sei das so, weil die Aufsicht eine mehrjährige Berufserfahrung in leitenden Funktionen vorsehe. Möglicherweise mangele es aber auch an Anreizen, den Job eines Aufsichtsrats beispielsweise schon mit 40 Jahren zu übernehmen. Zur Diversität gehöre aber auch, dass im Aufsichtsrat jüngere Mitglieder vertreten sein. Insbesondere wenn es um die Überwachung von Themen gehe, die für die nächsten Generationen entscheidend sind, wie der Klimawandel und die Digitalisierung.

Traditionelle Kompetenzen werden gut abgedeckt

Zufrieden ist der Großteil der befragten Investoren dagegen damit, wie europäische Finanzdienstleistungsunternehmen die „traditionellen“ Bereiche Vorstandserfahrung, Politik, Buchhaltung, Recht und Compliance behandeln. Die Zahlen belegen dies deutlich: Insgesamt hatten fast alle Aufsichtsräte (93%) zuvor bereits andere Aufsichtsratsmandate inne. Mehr als jeder Zweite (56%) hatte oder hat eine Vorstandsrolle in einem anderen oder dem gleichen Unternehmen. Auch auf Erfahrungen aus Politik, Verbänden und Regierungen kann gebaut werden: Ein Drittel der Aufsichtsräte von Finanzdienstleistungsunternehmen (33%) kann entsprechende Kompetenzen vorweisen.

ESG-Faktoren wichtig für Investoren – aber unterrepräsentiert

Trotz aller Zufriedenheit bei „traditionellen“ Themen – einige wichtige Themen finden sich im Kompetenzprofil der Aufsichtsräte kaum oder gar nicht: Nur 2% aller Aufsichtsräte in den untersuchten Finanzunternehmen haben einen ESG- oder Sustainability-Hintergrund. Deutschland bildet zusammen mit der Schweiz das Schlusslicht in dieser Kategorie: Nur ein% der Aufsichtsräte der beiden Länder verfügt über Erfahrung im Bereich Nachhaltigkeit. Insgesamt hat so weniger als ein Fünftel (19%) der Unternehmen mindestens einen Aufsichtsrat mit Erfahrung im Bereich Nachhaltigkeit.

Die Aufsichtsbehörden erwarten, dass sich jedes Aufsichtsratsmitglied nicht nur mit den allgemeinen Bankrisiken, sondern auch mit den jeweiligen geschäftsmodellspezifischen Risiken seiner Bank auskennt und diese beurteilen kann, betonen die Studienautoren. Stakeholder würden darüber hinaus erwarten, dass sich der Aufsichtsrat mit gesellschaftlichen Themen wie dem Klimawandel, sozialen Aspekten oder der Digitalisierung auseinandersetze und den Vorstand hier fordere. Aufsichtsräte stünden dadurch inzwischen stärker in der Verantwortung und müssten sich deshalb auch intensiver mit der Bank und den eingegangenen Risiken beschäftigen.

Nachhaltigkeits-, Digital- und FinTech-Kompetenz nach Meinung der Investoren wichtig

Gerade Nachhaltigkeit ist für Investoren von großer Wichtigkeit. Fast zwei Drittel (62%) von ihnen sagt, dass die Erfahrung in der Aufsichtsratsetage im Bereich Nachhaltigkeit/ESG wichtig bis sehr wichtig sei – und damit ein entscheidender Faktor, ob ein Unternehmen eine attraktive Investition ist. Allerdings: Die Daten der Studie deuten darauf hin, dass es in Europa einen Trend gibt, Aufsichtsratsmitglieder mit Nachhaltigkeitserfahrung zu ernennen. Fast die Hälfte (45%) der Aufsichtsräte mit Nachhaltigkeitserfahrung wurden in den vergangenen drei Jahren in ihre Position berufen.

Wenig Erfahrung mit Cybersicherheit

Mehr als die Hälfte (53%) der Investoren sagt zudem, dass es ein „bedeutendes Problem“ sei, wenn ein Unternehmen in seinem Aufsichtsrat wenig oder keine Erfahrung mit Cybersicherheit hat. Aber genau das ist der Fall: Keines der untersuchten europäischen Finanzdienstleistungsunternehmen hat Aufsichtsratsmitglieder mit Berufserfahrung in der Cybersicherheit im Aufsichtsrat.

Ähnlich sieht es im Bereich FinTechs aus: Die Mehrheit (54%) der Investoren in Finanzunternehmen ist der Meinung, dass auf Aufsichtsratsebene Erfahrungen bezüglich FinTechs vorhanden sein sollte. Die Realität: Weniger als jedes zehnte (9%) Unternehmen verfügt über Fintech-Erfahrungswerte in seinem Aufsichtsrat.

Laut der Studienautoren müssen Aufsichtsräte der Zukunft in der Lage sein, den Markt vorauszudenken, Veränderungen und Fortschritten zuvorzukommen. Nur so könnten sie die Strategie des Unternehmens beeinflussen und sowohl aktuelle als auch zukünftige Risiken einschätzen. Ein starkes Verständnis von Nachhaltigkeit und Technologie sei dafür essenziell.

Die Studie „Boardroom Monitor“ können Sie hier kostenlos bestellen.

(Pressemitteilung EY vom 06.07.2022)


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