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23.06.2016

Die meisten deutschen Industriefirmen fürchten Brexit kaum

Autokonzerne auf der Überholspur

Corporate Finance

Am heutigen Donnerstag, 23.06.2016 stimmen die Bürger des Vereinigten Königreichs über einen möglichen Ausstieg ihres Landes aus der Europäischen Union ab. Die Konsequenzen eines Brexit hat das ifo Institut bereits im Jahr 2015 in einer Studie für die Bertelsmann Stiftung untersucht und warnt: Ein Austritt Großbritanniens hätte viele negative wirtschaftliche Folgen für das Land, aber auch für die EU und Deutschland. Im schlimmsten Fall würde der Freihandel gestoppt, würden die Binnenmarktregeln verfallen und Zollschranken wieder errichtet, so die Einschätzung des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung. Der Handel würde teuer – insbesondere für Großbritannien, da für die Briten der EU-Markt sehr viel wichtiger ist als Großbritannien für die allermeisten EU-Mitgliedstaaten.

Das Vereinigte Königreich hat sich in den vergangenen Jahren zum zweitgrößten (nach Deutschland) bzw. drittgrößten (nach Deutschland und Frankreich) Nettozahler der EU entwickelt und überwies 2014 netto fast 10 Mrd. € nach Brüssel. Das Land ist weder Mitglied der Eurozone noch des Schengen-Raums. Bestimmte EU-Regeln, wie z.B. die EU-Personenfreizügigkeit oder die europäische Arbeitszeitrichtlinie, sind zunehmend in der Kritik. Die Berechnung der wirtschaftlichen Effekte eines EU-Austritts ist mit zahlreichen Unsicherheiten verknüpft und muss auch mögliche Übergangsfristen berücksichtigen. Um die Bandbreite möglicher Effekte abzuschätzen, wurden in der Studie drei Szenarien entwickelt.

Norwegen-Regelung könnte Verluste auf beiden Seiten gering halten

Im Best-Case-Szenario finden Großbritannien und die EU-Länder zusammen eine Lösung, die die Verluste auf beiden Seiten so gering wie möglich hält. Dies könnte nach der Norwegen-Regelung erfolgen: Trotz eines EU-Austritts würde Großbritannien durch den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) im europäischen Binnenmarkt vertreten sein. Vorteile hätte diese Regelung besonders für Unternehmen, die im EU-Raum agieren. So würde sich an den Handelsvereinbarungen wenig ändern. Wie Norwegen müsste auch Großbritannien in die Gemeinschaft einzahlen. Bei der Rechtssetzung der EU dürfte Großbritannien aber nicht mehr mitreden.

Regelung nach dem Vorbild der Schweiz

Das zweite Szenario wäre eine Regelung nach dem Vorbild der Schweiz. Einigen sich Brüssel und Großbritannien darauf, dass sich Großbritannien von der EU abkoppelt, könnte ein Freihandelsabkommen nach dem Schweizer Modell vereinbart werden. Die Wirtschaftsbeziehungen mit der Schweiz werden in 120 Abkommen geregelt, die einen direkten Zugang zum EU-Binnenmarkt ermöglichen. Es würde nicht nur Jahre dauern, die Verträge für Großbritannien aufzusetzen, auch mit Handelshemmnissen müssten wir rechnen.

Schreckensszenario ohne Freihandelsabkommen und Binnenmarktregeln

Das Schreckensszenario. Die Europäer wären wenig kompromissbereit. Ein Freihandelsabkommen hätte keine Chance, und die Binnenmarktregeln würden verfallen. Der Handel würde dann wegen der Zölle richtig teuer werden – insbesondere für Großbritannien. Denn für die Briten ist der EU-Markt sehr viel wichtiger als Großbritannien für die allermeisten EU-Mitgliedstaaten. Aber auch auf deutsche Automobilunternehmer mit Produktionsstädten in Großbritannien würden höhere Kosten zukommen.

Im Jahr 2030, also zwölf Jahre nach einem möglichen Brexit, ist davon auszugehen, dass die negativen Effekte ihre volle Wirkung zeigen: Je nach Ausmaß der handelspolitischen Abschottung Großbritanniens könnte das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) je Einwohner im Jahr 2030 zwischen 0,6% und 3% geringer ausfallen als bei einem Verbleib in der EU.

Ökonomische Wachstumsverluste und Mehrausgaben für EU-Haushalt

Für Deutschland und die restliche EU hingegen würden wirtschaftliche Wohlfahrtsverluste eines Brexit deutlich geringer ausfallen. Abhängig vom Ausmaß der handelspolitischen Isolierung Großbritanniens würde das reale BIP in Deutschland je Einwohner im Jahr 2030 bei einer Betrachtung der reinen Handelseffekte nur zwischen 0,1% und 0,3% geringer ausfallen als bei einem Verbleib des Vereinigten Königreiches in der EU. Einzelne Branchen wären wiederum unterschiedlich von geringeren Exporten in das Vereinigte Königreich betroffen. Der größte Rückgang würde in der Kfz-Branche mit bis zu 2% anfallen. Neben der Kfz-Branche müssten auch die Elektronik-Branche, die Metallerzeugung und die Lebensmittelbranche mit negativen Einschnitten rechnen. Neben den ökonomischen Wachstumsverlusten müssten sich die verbleibenden EU-Staaten auf zusätzliche Mehrausgaben für den EU-Haushalt einstellen. Durch den Ausfall der britischen Beiträge müsste beispielsweise Deutschland als größter Nettozahler jährlich zusätzlich 2,5 Mrd. € brutto beisteuern.

Große Unternehmen fürchten negative Auswirkungen bei einem Brexit

Mehr als ein Drittel der Firmen des Verarbeitenden Gewerbes in Deutschland befürchtet bei einem Brexit negative Auswirkungen auf ihr Geschäft. Genau sind es 38% der Befragten, wie das ifo Institut am Mittwoch in München mitteilte. Keine Auswirkungen erwarten hingegen knapp 61%, positive Folgen gerade einmal ein%. Insbesondere große Unternehmen mit über 500 Beschäftigten sind unruhig. Hier rechnen sogar 53% mit negativen Auswirkungen bei einem Brexit. Wenn Unternehmen im Exportgeschäft tätig sind, ist der Anteil ebenfalls leicht höher als im Schnitt, nämlich 41%.

Besonders viele Unternehmen der Elektro-Industrie sehen sich negativ betroffen (52%), in der Automobilherstellung (49%), in der Metallbranche (45%) und im Maschinenbau (43%). Fast durchschnittlich betroffen fühlen sich die Chemiesparte (39%), unterdurchschnittlich die Branche Nahrungsmittel, Getränke und Tabak (28%) sowie Textilien, Bekleidung und Leder (21%).

Weitere Informationen zum Thema finden Sie hier.

(Quelle/Pressemitteilung ifo Institut für Wirtschaftsforschung vom 22.06.2016)


Redaktion

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