Für die Studie wurden Investitionsprojekte erfasst, die zur Schaffung neuer Standorte und neuer Arbeitsplätze führen; Portfolio- und M&A-Investitionen werden hingegen nicht berücksichtigt. Zudem wurde für die Studie eine Befragung von 501 Entscheidungsträgern bei international tätigen Unternehmen durchgeführt, die vom 17.02. bis zum 06.04. stattfand.
Rückgang ausländischer Investitionsprojekte in Deutschland um 10%
Deutsche Unternehmen erwiesen sich im vergangenen Jahr einmal mehr als Investitionsmotor in Europa: Insgesamt 661 Investitionen führten sie im europäischen Ausland durch, das entspricht einem Anstieg um zehn% gegenüber dem Vorjahr. Mehr Investitionen – insgesamt 1.167 Projekte – führten nur US-Unternehmen durch. Das wichtigste Investitionsziel deutscher Unternehmen war Frankreich: Deutsche Unternehmen kündigten 2021 insgesamt 201 Projekte in Frankreich an, 26% mehr als im Vorjahr. Umgekehrt lag die Zahl der von französischen Unternehmen in Deutschland angekündigten Investitionen nur bei 40 – ein Rückgang um 11% gegenüber 2020.
Der deutliche Rückgang bei der Zahl der Projekte in Deutschland sollte zu denken geben, erklären die Studienautoren. Im vergangenen Jahr sank die Zahl der Investitionsprojekte zum vierten Mal in Folge. Und während der Brexit Großbritanniens Anziehungskraft auf ausländische Investoren nur unwesentlich beeinträchtigte, konnte Frankreich kräftig zulegen. Im innereuropäischen Standortwettbewerb scheint Deutschland derzeit das Nachsehen zu haben.
Immerhin: In einer für die EY-Studie durchgeführten weltweiten Unternehmensbefragung konnte Deutschland einen deutlichen Attraktivitätszugewinn verbuchen. Der Anteil der Befragten, die Deutschland als einen von drei Top-Standorten in Europa bezeichnen, ist im Vergleich zur Vorjahresbefragung von 28 auf 42% gestiegen. Frankreich (47%) und Großbritannien (43%) liegen damit nur noch knapp vor Deutschland.
Die wichtigsten Investoren in Europa sind deutsche und US-Unternehmen
Deutschland ist ohne Zweifel ein sehr starker und wettbewerbsfähiger Standort, betonen die Studienautoren. Allerdings sei es gerade für kleinere ausländische Unternehmen nicht immer leicht, ihren Platz in den hierzulande sehr dicht besetzten Wertschöpfungs- und Lieferketten zu finden. Mega-Investitionen wie das Tesla-Werk in Grünheide und die unlängst von Intel angekündigte Chip-Fabrik in Magdeburg zeigten allerdings, dass Deutschland für ausländische Unternehmen nach wie vor einer der Top-Standorte in Europa ist – und dass Investoren auch auf politische Unterstützung zählen könnten. Aber Deutschland hat laut der Analyse nach wie vor den Ruf langwieriger Verwaltungs- und Genehmigungsprozesse, hoher bürokratische Hürden sowie im Vergleich hoher Energiekosten. Vor allem aber schläft die Konkurrenz nicht: Gerade das Nachbarland Frankreich hat in den vergangenen Jahren wichtige Reformen umgesetzt und sich einen Ruf als attraktiver Investitionsstandort erarbeitet, der ausländische Unternehmen willkommen heißt, warnen die Autoren der Studie.
In Deutschland erschwere zudem die gute Lage auf dem Arbeitsmarkt den Markteintritt ausländischer Unternehmen, denn in einzelnen Regionen und Branchen in Deutschland herrsche annähernd Vollbeschäftigung – wer hier neu Fuß fassen möchte, hab es teils sehr schwer, in ausreichendem Maß qualifiziertes Personal zu finden. Das schrecke potenzielle Investoren ab.
US-Unternehmen investieren seltener in Deutschland – britische und chinesische häufiger
US-amerikanische und chinesische Unternehmen waren im vergangenen Jahr erneut für die meisten Investitionsprojekte in Deutschland verantwortlich – allerdings zeigt die Tendenz bei der Zahl der US-Projekte seit Jahren nach unten: Im Jahr 2018 waren noch 220 Investitionen von US-Konzernen gezählt worden, im vergangenen Jahr waren es nur noch 157.
Die Zahl chinesischer Investitionsprojekte in Deutschland stieg im gleichen Zeitraum von 66 auf 102. Für chinesische Unternehmen ist Deutschland mit Abstand der wichtigste Investitionsstandort in Europa, so die Studie. Knapp 40% aller chinesischen Investitionen in Europa entfallen auf Deutschland. An Deutschland schätzen die asiatischen Unternehmen traditionell die politische, soziale und rechtliche Sicherheit, was gerade in politisch und wirtschaftlich unruhigen Zeiten ein hohes Gut ist.
Auch britische Unternehmen haben ihr Engagement in Deutschland erhöht: Die Zahl der Investitionen stieg von 58 auf 72, blieb damit aber deutlich unter dem Höchstwert von 110, der im Jahr 2017 erreicht worden war.
London behauptet Top-Position im Städte-Ranking
Im europäischen Städte-Ranking kann London zwar den ersten Platz behaupten, verliert aber im Vergleich zum Vorjahr deutlich an Zustimmung: Nach 43% im Vorjahr bezeichnen derzeit nur noch 34% der befragten Manager London als einen der drei Top-Standorte in Europa. Im Gegenzug gewinnt Paris erheblich an Attraktivität (von 18 auf 28%) und lässt Frankfurt (Rückgang von 23 auf 21%) hinter sich.
Einen kräftigen Imagegewinn kann Dublin verbuchen – vermutlich eine Folge des Brexits: Der Anteil der Nennungen steigt von sechs auf 17%. Berlin belegt mit acht% Platz 13, Hamburg mit 4% Platz 21.
Krieg in der Ukraine und Dekarbonisierung verändern Investitionslandschaft
Die Pandemie und der Krieg in der Ukraine sind zwei Ereignisse, die mittelfristig zu einer spürbaren Um- und Neugestaltung der internationalen Lieferketten führen und sich damit auch auf die Investitionen auswirken werden, erwarten die Studienautoren. Elaborierte und maximal kostenoptimierte weltweite Lieferketten erwiesen sich als weniger belastbar als gedacht. Stattdessen gerate nun der Heimatmarkt wieder stärker in den Fokus – auch als Produktionsstandort.
In der Unternehmensbefragung gaben 53% der Manager an, dass sie ihre Lieferketten so umgestalten, dass die Produktion in die Nähe des Absatzmarktes gerückt wird – vor einem Jahr hatten nur 23% der Unternehmen solche Pläne. Und eine Rückverlagerung von Tätigkeiten auf den Heimatmarkt nehmen 43% der Unternehmen vor – verglichen mit 20% vor einem Jahr.
Die Studienautoren rechnen in den kommenden Jahren verstärkt Investitionen europäischer Unternehmen in Europa. Davon dürfte der Industriestandort Europa profitieren – in Form zusätzlicher Investitionen vor allem in den Bereichen Produktion und Logistik. Dieser Trend habe allerdings einen hohen Preis, den letztlich die Abnehmer bzw. Kunden zahlen müssten. Die bisherige weltweite Arbeitsteilung war sehr kosteneffizient. Ein Zurückdrehen der Globalisierung wird bei den Unternehmen zu signifikant steigenden Kosten führen, die sie großenteils an ihre Kunden weitergeben müssen, so das Fazit der Studienautoren.
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(Pressemitteilung EY vom 31.05.2022)