Der EuGH hat am 16.03.2023 klargestellt, dass die nationalen Wettbewerbsbehörden (NWB) in den EU-Mitgliedstaaten Zusammenschlüsse, die nicht der Fusionskontrolle auf nationaler oder EU-Ebene unterliegen, nach den allgemeinen Regeln für den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung prüfen können. Gleiches gilt auch dann, wenn sie nicht gemäß der EU-Fusionskontrollverordnung von einer nationalen Wettbewerbsbehörde zur Prüfung an die Kommission verwiesen wurden.
Hintergrund des EuGH-Urteils
Hintergrund des Urteils war ein Rechtstreit zwischen den zwei französischen Rundfunkunternehmen Télédiffusion de France (TDF) und Towercast. Im Jahr 2016 erwarb TDF die alleinige Kontrolle über das Unternehmen Itas, ohne dass diese Übernahme bei der französischen Wettbewerbsbehörde (FCA) oder der Kommission angemeldet beziehungsweise geprüft wurde. Begründet wurde das Vorgehen damit, dass die geltenden umsatzbezogenen Schwellenwerte nicht erreicht wurden. Towercast reichte daraufhin bei der Wettbewerbsbehörde eine Beschwerde ein, in der das Unternehmen argumentierte, dass die Übernahme den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung darstelle, was gegen Artikel 102 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) verstoße. Nach Ansicht von Towercast hat die Transaktion die bereits bestehende beherrschende Stellung von TDF sowohl auf den vor- als auch auf den nachgelagerten Großhandelsmärkten für Fernsehsendungen erheblich verstärkt.
Auswirkungen auf dem deutschen Markt
Laut Dr. Christian Zuleger, Partner bei der Rechtsanwaltskanzlei Sidley, hat das Urteil auch Auswirkungen auf dem deutschen Markt: „Bei einer beträchtlichen Anzahl von Unternehmen, die an Fusionen und Übernahmen mit einem europäischen Bezug beteiligt sind, besteht nun die Möglichkeit, dass eine Untersuchung der jeweiligen Transaktion durchgeführt werden kann.“ Zuleger empfiehlt Rechtsabteilungen von Unternehmen zur Minderung der Risiken die folgenden drei Handlungsempfehlungen: „Zum einem gilt es achtsam gegenüber Veränderungen zu sein, die im Nachhinein zum Ausschluss von Konkurrenten oder zur Ausbeutung von Kunden und Verbrauchern führen könnten, was das Risiko einer Beschwerde nach Artikel 102 AEUV über die Transaktion selbst mit sich bringen würde. Zum anderen sollte aktiv nach Hinweisen in internen oder externen Dokumenten Ausschau gehalten werden, die besagen, dass das fusionierte Unternehmen eine marktbeherrschende Stellung einnehmen oder Konkurrenten ausschließen könnte. Zudem empfehlen wir das aktive Monitoren von Trends bei den nationalen Wettbewerbsbehörden, die jederzeit von der Möglichkeit der nachträglichen Prüfung von Fusionen und Übernahmen gemäß Artikel 102 AEUV Gebrauch machen können.“
(FTI Consulting vom 03.04.2023 / Viola C. Didier, RES JURA Redaktionsbüro)