Die nordischen Anleihemärkte gelten als stabil, innovativ und zunehmend nachhaltig – doch was genau steckt hinter dem Begriff „Nordic Bonds“? Im Interview werfen wir einen genaueren Blick auf die Besonderheiten, Chancen und Risiken dieser Anlageklasse. Dominik Spanier, Managing Director bei der Investmentbank Lincoln International und verantwortlich für den Bereich Capital Advisory in der DACH-Region, gibt Einblicke in Marktstrukturen, aktuelle Entwicklungen und die Relevanz nordischer Anleihen im internationalen Vergleich.
CF: Herr Spanier, was versteht man unter „Nordic Bonds“ und welche Länder zählen typischerweise dazu?
Dominik Spanier: Nordic Bonds waren ursprünglich Anleihen mit Emittenten aus Schweden, Norwegen, Finnland, Dänemark und teils Island, oft verbunden mit den Unternehmensanleihemärkten dieser Länder. Zunehmend werden Sie aber auch von Emittenten aus Non-Nordic Ländern wie Deutschland, UK oder Frankreich begeben. Sie gelten als stabil, innovativ und nachhaltig ausgerichtet, weshalb internationale Investoren sie schätzen. Beispiele sind Green Bonds schwedischer Immobiliengesellschaften oder Anleihen norwegischer Offshore-Unternehmen.
CF: Welche Rolle spielen die nordischen Anleihenmärkte im europäischen bzw. globalen Kontext?
Dominik Spanier: Sie spielen inzwischen eine bedeutende Rolle im europäischen Anleiheuniversum und verzeichneten 2024 mit rund 17,9 Mrd. Euro an High-Yield-Neuemissionen ein Rekordjahr. Fast die Hälfte davon kam von Unternehmen außerhalb Skandinaviens, was die internationale Attraktivität des Marktes zeigt. Globale Anleger schätzen die nordischen Märkte aufgrund der hohen Emittentenqualität und attraktiven Renditen. Ein prominentes Beispiel dafür ist die 180 Mio. Euro-Anleihe des deutschen Unternehmens KD Pharma im Oktober 2024 sowie die Anleihe der Kolibri Beteiligungen/Zeitfracht Gruppe, deren Emission eines Euro 145 Mio. Nordic Bonds wir als Lincoln International dieses Jahr beraten durften.
CF: Was sind die Hauptunterschiede zwischen Nordic Bonds und klassischen Eurobonds?
Dominik Spanier: Nordic Bonds unterscheiden sich wesentlich von klassischen Eurobonds: Sie sind häufig variabel verzinst, kürzer (3–5 Jahre), volumenmäßig kleiner und unterliegen meist norwegischem oder schwedischem Recht mit schlanker, standardisierter Dokumentation. Zudem erfolgt keine umfangreiche Bankenkonsortialzeichnung; stattdessen organisiert meist eine arrangierende Bank die Emission, begleitet durch den Nordic Trustee als Treuhänder. Charakteristisch sind auch spezielle Covenant-Strukturen, die Incurrence und Maintenance Covenants verbinden. Insgesamt ist der Emissionsprozess bei Nordic Bonds schneller, flexibler und der Investorenkreis stärker auf Skandinavien fokussiert.
CF: Welche Emittenten dominieren den nordischen Anleihemarkt?
Dominik Spanier: Der nordische Anleihemarkt wird maßgeblich von Staaten und öffentlichen Institutionen geprägt, deren souveräne Bonds als besonders stabil und bonitätsstark gelten. Auch der Finanzsektor hat großes Gewicht, insbesondere durch gedeckte Anleihen (Covered Bonds) sowie Emissionen von Versicherungen und Banken. Charakteristisch für die nordischen Märkte ist aber vor allem der starke Unternehmensbereich mit einem Schwerpunkt auf mittelständischen High-Yield-Emittenten aus Branchen wie Offshore-Energie, Schifffahrt, Immobilien und Industrie. Zudem gewinnen ausländische Unternehmen zunehmend an Bedeutung, darunter deutsche Mittelständler, die 2024 an Transaktionen über rund 1,3 Mrd. Euro beteiligt waren.
CF: Wie funktioniert der Primär- und Sekundärmarkt für Nordic Bonds?
Dominik Spanier: Nordic Bonds werden am Primärmarkt meist von spezialisierten Investmentbanken wie Pareto Securities, SEB, DNB Markets, Carnegie und Arctic Securities bei institutionellen Investoren platziert. Der Emissionsprozess erfolgt schlank und zügig durch Privatplatzierungen, oft ohne öffentlichen Prospekt und mit gezielter Ansprache etablierter Investoren. Im Sekundärmarkt sind Nordic Bonds überwiegend an Börsen wie der Oslo Børs (Nordic ABM) oder Nasdaq Stockholm notiert. Allerdings ist die Liquidität begrenzt, da viele Anleger langfristig orientiert sind und Transaktionen häufig direkt zwischen institutionellen Investoren stattfinden. Trotzdem ist für größere Bonds ein ausreichender Handel möglich, unterstützt durch regelmäßige Preisindikationen spezialisierter Anbieter wie Nordic Bond Pricing.
CF: Welche Rolle spielen Banken und institutionelle Investoren in diesem Markt?
Dominik Spanier: Sie sind zentrale Akteure im nordischen Anleihemarkt. Die bereits genannten lokalen Investmentbanken sind bei der Emission in ihrer Rolle als Arrangeure und Bookrunner führend. Im Sekundärmarkt stellen Banken als Market Maker die notwendige Liquidität bereit, während institutionelle Anleger – darunter skandinavische Pensionsfonds, Versicherungen und spezialisierte Fonds – die wesentliche Nachfrageseite bilden. Besonders stark prägen nordische Investoren den Markt durch ihre hohen Anforderungen an ESG-Kriterien, was zunehmend die Gestaltung der Emissionen beeinflusst.
CF: Welche rechtlichen Besonderheiten gibt es bei der Emission von Nordic Bonds?
Dominik Spanier: Die Emission von Nordic Bonds unterliegt meist norwegischem oder schwedischem Recht und nutzt schlanke, standardisierte Dokumentationen ohne aufwendigen Prospekt, da Emissionen überwiegend als Privatplatzierungen bei institutionellen Investoren erfolgen. Fast immer übernimmt ein Treuhänder („Nordic Trustee“) die Vertretung der Anleihegläubiger, was den Prozess vereinfacht. Rechtlich prägend sind zudem hybride Covenant-Strukturen, die Elemente aus High-Yield- und traditionellen Anleihen kombinieren und laufende („Maintenance“) sowie ereignisbezogene („Incurrence“) Prüfungen vorsehen. Insgesamt erlaubt dies einen zügigen, kosteneffizienten Emissionsprozess mit hoher Flexibilität. Gleichzeitig ist die Mindestanlagesumme in Nordic Bonds meist hoch, was Prospektpflichten nach EU-Recht vermeidet. Das reduziert regulatorische Anforderungen erheblich und macht den Markt insbesondere für mittelständische Emittenten attraktiv.
CF: Wie stark unterscheiden sich die Regularien in Ländern wie Norwegen, Schweden und Finnland?
Dominik Spanier: Die Unterschiede sind eher gering, da alle drei Länder eng verwandte rechtliche Rahmenbedingungen nutzen und den Markt bewusst harmonisieren. Dennoch bestehen leichte nationale Besonderheiten, etwa im Hinblick auf Steuerrecht und Meldepflichten, wobei Norwegen besonders stark durch die Nutzung eines Treuhänders (Nordic Trustee) geprägt ist. Schweden weist oft etwas strengere Anforderungen hinsichtlich der Transparenz und Offenlegung bei börsennotierten Bonds auf, während Finnland stärker auf EU-Regelungen ausgerichtet ist. Insgesamt führen diese geringen Unterschiede kaum zu praktischen Hürden, sodass Emittenten den Markt länderübergreifend effizient nutzen können.
CF: Wie attraktiv sind Nordic Bonds im Hinblick auf Rendite und Risiko?
Dominik Spanier: Nordic Bonds bieten Investoren attraktive Renditen, insbesondere im High-Yield-Bereich, mit Zinssätzen oft im hohen einstelligen oder sogar zweistelligen Prozentbereich. Das hohe Renditepotenzial resultiert aus dem häufigen Non-Investment-Grade-Status der Emittenten sowie deren Präsenz in volatileren Branchen wie Offshore, Schifffahrt und erneuerbaren Energien, was das Kreditrisiko erhöht. Jedoch werden diese Risiken oft durch Besicherungen und strenge Covenants in Teilen abgefedert. Zusätzlich profitieren Anleger von einer transparenten Marktstruktur mit klar definierten rechtlichen Rahmenbedingungen, was die Planbarkeit erhöht. Insgesamt gelten Nordic Bonds aufgrund ihrer attraktiven Renditen, robuster Restrukturierungsmechanismen und der zunehmenden Internationalisierung des Investorenkreises als interessantes Investment, was sich auch im Rekord-Emissionsvolumen des Jahres 2024 widerspiegelt.
CF: Welche Währungsrisiken bestehen bei Investments in Nordic Bonds?
Dominik Spanier: Nordic Bonds werden in verschiedenen Währungen begeben, was für Investoren ein Wechselkursrisiko bedeuten kann. Neben den lokalen Währungen Schwedische Krone (SEK) und Norwegische Krone (NOK) sind auch Euro und US-Dollar gängig – tatsächlich war 2024 der US-Dollar die meistgenutzte Emissionswährung im nordischen High-Yield-Markt mit 38 % Volumenanteil, gefolgt vom Euro (29 %) und der SEK (20 %)
CF: Welche Bedeutung haben ESG-Kriterien im nordischen Anleihemarkt?
Dominik Spanier: Eine zentrale Bedeutung und sie sind längst zum Standard geworden. Allein 2024 trugen bereits 36 % aller neu gelisteten Anleihen an den Nasdaq-Börsen der nordischen und baltischen Länder ein ESG-Label – eine deutliche Steigerung zum Vorjahr. Skandinavische Investoren, insbesondere institutionelle Anleger, setzen zunehmend verpflichtende ESG-Standards voraus, wodurch Emittenten zu hoher Transparenz und zur Entwicklung eigener ESG-Frameworks verpflichtet werden. ESG-Kompatibilität erhöht die Nachfrage deutlich und dient vielen Anlegern inzwischen als Qualitätsmerkmal, weshalb Emittenten auch außerhalb Skandinaviens zunehmend Wert auf Nachhaltigkeitslabel legen. Gerade der nordische Markt gilt als Vorreiter bei nachhaltigen Finanzierungen und setzt mit Innovationen im Bereich grüner und sozialer Anleihen europaweit Maßstäbe. Unternehmen, die diese ESG-Erwartungen nicht erfüllen, haben es zunehmend schwerer, Kapital aufzunehmen.
CF: Das heißt, Nordic Green Bonds sind tatsächlich ein Vorbild für nachhaltige Investments?
Dominik Spanier: Absolut – Nordische Green Bonds gelten global als Vorbild für glaubwürdige nachhaltige Investments. Bereits 2008 wurde in Stockholm der erste grüne World-Bank-Bond emittiert, und 2013 brachte Göteborg als weltweit erste Stadt eine grüne Anleihe heraus. Charakteristisch sind hohe Transparenz- und Qualitätsstandards; die Emittenten nutzen umfassende ESG-Rahmenwerke, unabhängige Zweitgutachten („Second-Party Opinions“) und eine klare Darstellung der Mittelverwendung. So erhielt etwa Schwedens erste grüne Staatsanleihe das höchste Nachhaltigkeitsrating („Dark Green“) von CICERO und war stark überzeichnet. Man kann durchaus sagen: Typisch nordisch ist insbesondere das hohe Ambitionsniveau.
CF: Welche ESG-Standards oder -Frameworks sind in den nordischen Anleihemärkten besonders etabliert?
Dominik Spanier: In den nordischen Anleihemärkten sind vor allem die international anerkannten ICMA-Prinzipien (Green Bond Principles und Social Bond Principles) etabliert, auf deren Basis Emittenten eigene, detaillierte Green-Finance-Frameworks erstellen. Zusätzlich orientieren sich viele Emissionen an den strengen Standards der Climate Bonds Initiative, um eine Übereinstimmung mit dem Pariser Klimaabkommen sicherzustellen. Perspektivisch wird zudem der EU Green Bond Standard immer wichtiger, da die nordischen Länder ihre ESG-Richtlinien eng an europäischen Vorgaben ausrichten und so künftig eine noch höhere Vereinheitlichung anstreben.
Gibt es Unterschiede im ESG-Engagement zwischen staatlichen und privaten Emittenten in den nordischen Ländern?
Dominik Spanier: Beide Gruppen sind gleichermaßen stark im ESG-Bereich engagiert, unterscheiden sich allerdings bei ihren Schwerpunkten und Ansätzen. Staatliche Emittenten wie Regierungen, Kommunen oder Förderbanken fungieren oft als Vorreiter, indem sie ambitionierte Nachhaltigkeitsziele verfolgen und konkrete öffentliche Projekte durch „Use-of-Proceeds“-Bonds finanzieren, wie etwa Schwedens grüne Staatsanleihe von 2020. Private Unternehmen hingegen nutzen zunehmend auch strategische Instrumente wie Sustainability-Linked Bonds, um ihre gesamten Geschäftsaktivitäten mit ESG-Kriterien zu verknüpfen, wobei besonders Immobilien- und Energieunternehmen führend sind. Während staatliche Emittenten vor allem durch hohe Transparenz und regelmäßige Impact-Berichte überzeugen, treiben private Emittenten den Markt aktiv voran, indem sie ESG verstärkt als Wettbewerbsvorteil und strategisches Instrument nutzen. Insgesamt ergänzen sich beide Sektoren und machen die nordische Region zu einem Vorbildmarkt in puncto nachhaltiger Finanzierungen.
CF: Welche Rolle spielen öffentliche Institutionen, etwa nordische Zentralbanken oder Entwicklungsbanken, bei der Förderung nachhaltiger Anleihen?
Dominik Spanier: Sie agieren als Vorreiter und schaffen so gezielt Nachfrage. Beispielsweise gibt die Nordic Investment Bank (NIB) seit Jahren eigene Umwelt- und Blue Bonds heraus und investiert zudem aktiv in nachhaltige Bonds anderer Emittenten, wodurch sie Standards für Transparenz und Reporting setzt. Nationale Förderbanken wie Kommuninvest (Schweden), Kommunalbanken (Norwegen) oder MuniFin (Finnland) bieten Kommunen günstige Finanzierungsmöglichkeiten durch Green Bonds und stärken so den Markt erheblich. Auch nordische Zentralbanken, etwa Schwedens Riksbank oder Norwegens Norges Bank, unterstützen den ESG-Markt indirekt durch klimabezogene Anlagekriterien und Ausschlüsse CO₂-intensiver Anlagen aus ihren Portfolios. Insgesamt schaffen diese öffentlichen Akteure ein stabiles und glaubwürdiges Umfeld, das die Attraktivität und Glaubwürdigkeit nachhaltiger Anleihen erheblich steigert.
CF: Welche makroökonomischen Entwicklungen beeinflussen derzeit den Nordic-Bond-Markt am stärksten?
Dominik Spanier: Aktuell ganz klar das Zins- und Inflationsumfeld. Nach dem starken Zinsanstieg 2022–2023 hat sich die Aussicht auf ein Ende weiterer Zinserhöhungen stabilisierend ausgewirkt, was sowohl Emittenten als auch Anleger ermutigt, wieder aktiver zu werden. Zusätzlich beeinflussen Wechselkursschwankungen, insbesondere die Entwicklung des US-Dollars, die Finanzierungsentscheidungen nordischer Emittenten und die Anlagestrategien internationaler Investoren. Rohstoffpreise, insbesondere der Ölpreis, bleiben bedeutend – ein hoher Ölpreis stärkt beispielsweise die Bonität vieler norwegischer Offshore-Emittenten, während die Immobilienbranche in Schweden noch mit den Folgen gestiegener Zinsen kämpft. Insgesamt bleibt der Nordic-Bond-Markt jedoch robust und attraktiv für Anleger, da die Region dank solider Staatsfinanzen und politischer Stabilität ein vergleichsweise sicheres makroökonomisches Umfeld bietet.
CF: Welche Chancen sehen Sie für den nordischen Anleihenmarkt in den nächsten 5 bis 10 Jahren?
Dominik Spanier: Die Perspektiven sind äußerst vielversprechend. Das Marktvolumen dürfte weiter wachsen, da immer mehr internationale Emittenten die Vorteile wie schnellen Marktzugang und maßgeschneiderte Strukturen erkennen. Hier sehen wir auch für Lincoln mit unserer globalen Aufstellung eine große Chance, unsere Mandanten bei der Verhandlung der Anleihebedingungen und dem Prozessmanagement bei der Begebung eines Nordic Bonds oder anderer Kapitalmarktprodukte umfassend zu unterstützen. ESG-Innovationen wie Blue Bonds oder Transition Bonds werden die Marktattraktivität zusätzlich steigern, was neue Investoren anzieht. Technologische Fortschritte, etwa digitale Plattformen oder Blockchain-basierte Emissionen, könnten den Markt zusätzlich revolutionieren. Langfristig könnte der nordische Anleihenmarkt somit seine Rolle als europäischer High-Yield-Hub stärken und zu einem unverzichtbaren Bestandteil globaler Anlagestrategien werden.
CF: Vielen Dank für das Interview!
Das Interview führte Viola C. Didier, RES JURA Redaktionsbüro
Interviewpartner:
Dominik Spanier
Managing Director, Head of Capital Advisory, Lincoln International
Dominik Spanier verfügt über mehr als 25 Jahre Erfahrung in den Bereichen Unternehmens- und strukturierte Finanzierung sowie Debt Advisory. Er unterstützt mittelständische Kunden dabei, neue Finanzierungsquellen wie Private Debt zu erschließen, da sich der Markt zunehmend von klassischen Bankfinanzierungen abwendet.