Betrachtet man die beiden COVID19-Impfstoffentwickler BioNTech und CureVac, relativiert sich der Analyse zufolge auch der vermeintliche Einbruch in der Finanzierung durch Börsengänge, Venture Capital, Folgefinanzierungen und Wandelanleihen: Vor einem Jahr vereinigten die beiden Firmen rund die Hälfte (51%) der Gesamtkapitalaufnahme auf sich. In diesem Jahr sind es dagegen lediglich 18%. 2021 konnte unter anderem beim Risikokapital eine gleichmäßigere Verteilung der Investitionen beobachtet werden – auf verschiedene Unternehmen und verschiedene Therapiegebiete.
Kapitalaufnahme der deutschen Biotech-Branche von 2,4 Mrd. € – zweithöchster Wert aller Zeiten
Zwar haben einzelne Unternehmen weiterhin einen überproportionalen Einfluss innerhalb der deutschen Biotech-Branche. Aber im Gegensatz zu früheren Jahren bestimmen nicht allein Einzelereignisse die Finanzierung, so die Autoren des Deutschen Biotechnologie-Reports. Das sei ein deutliches Zeichen für die Stabilität der Branche und das Vertrauen des Marktes in die Unternehmen.
Die neuartigen Impfstoffe, die bei der Rückkehr in unseren gewohnten Alltag helfen, zeigen über den Einsatz gegen COVID19 hinaus das Potential neuartiger Therapien, so der Deutsche Biotechnologie-Report. Doch längst beschränken sich die Aktivitäten deutscher Biotechs nicht nur auf den Pharma- und Gesundheitsmarkt. Sie bringen innovative Technologien auch in andere Sektoren wie Landwirtschaft, Nahrungsmittelindustrie und die Chemiebranche – und damit in fast alle Lebensbereiche.
Vier Börsengänge im Wert von fast 700 Mio. €
Laut der Studie gingen die Summen bei Folgefinanzierungen (874 Mio. €, minus 43%), Risikokapitalfinanzierung (752 Mio. €, minus 15%) und Wandelanleihen (139 Mio. €, minus 71%) zwar allesamt gegenüber dem Rekordjahr 2020 zurück. Erfreulich ist aber, dass vier Börsengänge insgesamt 667 Mio. € einbrachten, so die Studienautoren. Dies bedeute einen Anstieg von 52% gegenüber dem Vorjahr. Es sei zugleich auch die höchste jemals erreichte IPO-Kapitalaufnahme durch jeweils zwei Erst- und Zweitnotierungen an der NASDAQ. Bei der Frühphasenfinanzierung gebe es einen deutlichen Trend weg vom sog. ,Drip Feeding‘. Unternehmen würden von Anfang an die nötigen finanziellen Mittel erhalten, um direkt die erforderlichen Fortschritte in ihrer Entwicklung zu ermöglichen.
Tendenz zu mehr Partnerschaftsmodellen
Neben starken Wachstumszahlen beim Umsatz börsennotierter Biotechs (plus 551%) stiegen der Analyse zufolge auch die Forschungs- und Entwicklungsausgaben auf 2,76 Mrd. € (plus 89%). Weniger positiv entwickelte sich das Allianzvolumen: Nach fast 7 Mrd. € im Vorjahr stehen für 2021 lediglich 3,39 Mrd. € zu Buche – ein Minus von 51%. Dass Partnerschaften zwischen Unternehmen trotzdem weiter wichtig sind, zeigt die leicht angestiegene Zahl der Deals. Gegenüber dem Tiefststand von 2020, als es 33 waren, waren es im vergangenen Jahr 48.
Damit war die Entwicklung in Deutschland gegenläufig zum globalen Trend. Hauptgrund für diese schwache Entwicklung ist laut des Deutschen Biotechnologie-Reports ein immer noch relativ starker Markt für Fusionen und Übernahmen in Deutschland sowie die relativ starke Kapitalausstattung der Unternehmen, die es erlauben mehr Wegstrecke in der Entwicklung alleine zu gehen. Insgesamt wird der globale Trend zu mehr Partnerschaften aber auch an Deutschland nicht vorbeigehen. Fusionen und Übernahmen, Börsengänge und Partnerschaften befinden sich in einem ständigen Wettbewerb miteinander und der Einbruch im Kapitalmarkt und hohe Bewertungen für Zusammenschlüsse und Zukäufe stärken Partnerschaften als Alternative, so die Einschätzung der Studienautoren.
Anzahl der Mega-Deals steigt an
Innovative Technologieplattformen waren, wie auch schon in den vergangenen Jahren, die Werttreiber bei den Allianzen der deutschen Biotechs – das zeigte sich insbesondere bei den Mega-Deals (über 500 Mio. €). Wie im Vorjahr gab es auch im Bereich Fusionen und Übernahmen einen Mega-Deal: MorphoSys übernahm für 1,41 Mrd. € das US-Unternehmen Constellation Pharmaceuticals. Vier weitere Deals lagen außerdem noch über der Marke von 100 Mio. €, insgesamt stieg das Gesamtvolumen auf 2,06 Mrd. € – dem höchsten Wert seit Bestehen der Biotech-Branche. Insgesamt wurden 21 Deals verzeichnet.
Deutsche Biotechs treten vermehrt als Käufer auf
Betrachtet man den Zeitraum der vergangenen 20 Jahre zeigt sich zudem, dass Anzahl und Volumina der M&A-Deals zunehmen, ein Trend, der sich weiter fortsetzen könnte: Aktuell verfügen die Unternehmen der Biotech-Branche über reichlich Liquidität. Dies bedeutet, dass die Firmen eigenständig agieren können, prognostizieren die Autoren der Analyse. In Zukunft sei jedoch im Zusammenhang mit bevorstehenden Patentabläufen und einem ruhigeren IPO-Markt eher von einer weiteren Zunahme an Fusionen und Übernahmen auszugehen. Hier könnten auch deutsche Biotechs im Rahmen ihrer Wachstumsstrategie als Käufer auftreten.
Fachkräftemangel: Kampf um Talente verstärkt sich
Um das Wachstum weiter zu sichern, ist die Branche auf qualifizierte Mitarbeitende angewiesen – doch auch in der Biotech-Branche zeigt sich: Der Fachkräftemangel wirkt sich als Wachstumsbremse aus. Zwar nahm die Anzahl der Beschäftigten bei den börsennotierten Biotechs um 20% zu und liegt jetzt bei 17.301. Doch in einem leergefegten Arbeitsmarkt konkurrieren die Firmen nicht nur untereinander um die besten Talente, sondern auch mit anderen Branchen. Arbeitgeber können und müssen mit modernen, innovativen Angeboten herausstechen, um Talente zu gewinnen beziehungsweise zu halten, so der Rat der Studienautoren. Hier sei vor allem das Management gefragt – um mit individuellen Maßnahmen die klügsten Köpfe von ihrem Unternehmen und ihren Ideen zu überzeugen.
Kritisch sei aber auch die Entwicklung von Management-Talenten. Eine bessere Vernetzung und gezieltes Mentoring von Gründerteams könnten helfen, Fehler bei Gründung und Aufbau von Firmen zu vermeiden. Hier könne nach Einschätzung der Studienautoren deutlich mehr getan werden.
Den Deutsche Biotechnologie-Report 2022 können Sie hier kostenlos bestellen.
(Pressemitteilung EY vom 09.06.2022)